Sozial- und Kommunikationspsychologie

Gebietsüberblick | Prof. em. Dr. Hans-Werner Bierhoff

Sozialpsychologie kann definiert werden «als Versuch, zu verstehen und zu erklären, wie die Gedanken, Gefühle und das Verhalten von Individuen durch die wirkliche, vorgestellte oder implizierte Anwesenheit anderer beeinflusst wird». Diese klassische Definition ist weit gefasst, gleichzeitig hebt sie aber das Spezifische der Sozialpsychologie deutlich hervor: Es geht bei dieser sowohl um die wirkliche Anwesenheit anderer, aber auch um ihre vorgestellte Anwesenheit und ihre implizierte Anwesenheit. Die Anwesenheit anderer kann dabei auf drei verschiedenen Ebenen (kognitiv, emotional und konativ) Auswirkungen haben, wobei diese Ebenen natürlich mehr oder weniger eng miteinander verbunden sind. Bei allen Fragestellungen der Sozialpsychologie geht es um die soziale Natur der individuellen Person. Deren Formung schließt auch die Lernbedingungen ein, wie sie durch den Sozialisationsprozess im Allgemeinen und das Soziale Lernen an Modellen im Besonderen dargestellt werden.

Des Weiteren können verschiedene Analyseebenen der Sozialpsychologie mit ihren Forschungsgegenständen unterschieden werden (Doise, 1986):

(1) Auf der intraindividuellen Ebene wird berücksichtigt, wie kognitive Prozesse der Informationsverarbeitung das soziale Verhalten beeinflussen.

(2) Auf der interpersonellen Ebene werden Merkmale der Interaktion zwischen zwei Personen unter Berücksichtigung der sozia­len Situation betrachtet.

(3) Auf der positionalen Ebene wird der Einfluss von Statusunterschieden und Rollen des Individuums in der Gruppe untersucht.

(4) Schließlich betrifft die Ideologie-Ebene die Kulturabhängigkeit sozialen Verhaltens, wie sie durch die Sozialisation vermittelt wird und wie sie in unterschiedlichen kulturellen Kommunikationsstilen greifbar wird.

Die Kommunikationspsychologie bezieht sich auf den Prozess, in dem ein Individuum (oder eine Gruppe von Individuen) Informationen über Ideen, Gefühle und Absichten einer anderen Person (oder einer Gruppe von Personen) übermittelt. Kommunikation ist dabei mehr als reine Übermittlung einer Botschaft. Sie stellt ein Mittel wechselseitigen Austauschs und wechselseitiger Steuerung dar. Die größte Überschneidung zwischen Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie findet sich im Bereich Einstellung und Einstellungsänderung, bei der der Sender in vielen Fällen das Ziel verfolgt, die Empfängereinstellungen in einer bestimmten Richtung zu beeinflussen.

Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie überscheiden sich insgesamt deutlich mit der Allgemeinen Psychologie. Das gilt vor allem für den Bereich der sozialen Kognition. Darüber hinaus gibt es große Gemeinsamkeiten mit der Persönlichkeitspsychologie und der Entwicklungspsychologie sowie im Anwendungsbereich vor allem mit der Klinischen und der Arbeits- und Organisationspsychologie. Auch besteht eine große Nähe zur Soziologie, wobei häufig festgestellt werden kann, dass soziologische Fragestellungen eine stärkere Makroorientierung aufweisen als Fragestellungen der Sozialpsychologie. Außerdem ist die Soziologie mehr an der Frage interessiert, wie «Sozialität» auf der Basis der «Personalität» konstituiert wird (Lüdtke & Matsuzaki, 2011), während Sozialpsychologie mehr betont, wie sich das individuelle Handeln verstehen und erklären lässt, sei es in Entscheidungssituationen, unter Stress, in einer Verhandlung oder in einer Gruppensituation. Der Forschungsgegenstand der Soziologie ist hingegen die Rolle des Menschen in der Gesellschaft (Bellebaum, 2001). Dabei werden Prinzipien der Entwicklung, Aufrechterhaltung und Veränderung sozialer Systeme und der damit verbundenen sozialen Strukturen und sozialen Prozesse thematisiert. Im Folgenden werden sechs Bereiche der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie ausführlicher beschrieben: Selbst und Persönlichkeit, soziale Motive, soziale Wahrnehmung und soziale Kognition, soziale Einstellungen und Emotionen, soziale Gruppenprozesse sowie soziale Interaktion und Kommunikation.

Selbst und Persönlichkeit

Der Themenkomplex Selbst und Persönlichkeit befasst sich mit der Frage nach Laienvorstellungen von Persönlichkeit (impliziten Persönlichkeitstheorien), mit der Frage danach, wie Individuen sich selbst anhand verschiedener zur Verfügung stehender Hinweisreize wahrnehmen, mit der Selbstregulation (Zielfindung, Zielerreichung und Überwachung der Zielerreichung), dem Selbstkonzept und Selbstwertgefühl, mit Möglichkeiten der Selbstdarstellung und der Eindruckssteuerung sowie mit sozialen Vergleichen. Außerdem geht es um solche Persönlichkeitseigenschaften, die in sozialen Kontexten eine besondere Relevanz erreichen, wie z. B. Narzissmus, autoritäre Persönlichkeitszüge, soziale Dominanz oder Autoritätsgehorsam.

 

Soziale Motive

Soziale Motive beziehen sich auf verschiedene treibende Kräfte, die einen Einfluss auf das soziale Verhalten bzw. die soziale Interaktion ausüben. Hierzu zählen Aspekte wie z. B. die Wahrnehmung von und das Streben nach Kontrolle, die Reaktion auf Einschränkung der persönlichen Freiheit (z. B. in Form von Reaktanzbildung), der soziale Vergleich und Reaktionen auf soziale Vergleichsprozesse (z. B. relative Deprivation), das Streben nach Bindung, Freundschaft, Gesellschaft sowie die Frage nach Attraktivität und Attraktion, nach Liebe, Eifersucht und Treue. Ebenfalls stellt sich die Frage nach den Gründen und dem Vorkommen von sozial schädlichen Absichten und Verhaltensweisen wie beispielsweise von Aggression und Gewalt, von Mobbing oder von sexueller Aggression – sowie von sozial förderlichen und erwünschten Absichten und Verhaltensweisen wie beispielsweise von prosozialem Verhalten, Empathie und Altruismus, sozialer Unterstützung und Verantwortungsübernahme, Zivilcourage, Fairness und Gerechtigkeit sowie Umweltschutz und Friedensaktivitäten.

 

Soziale Wahrnehmung und soziale Kognition

Der Bereich der sozialen Wahrnehmung und sozialen Kognition bezieht sich auf Informationsaufnahme- und -verarbeitungsprozesse, welche die soziale Welt des Individuums und seiner Beziehungen umfassen und somit im Schnittpunkt von Kognitionspsychologie und Sozialpsychologie stehen. Im Fokus stehen Personen sowie größere soziale Gebilde wie Gruppen, Gesellschaften und deren Gedanken, Gefühle und Handlungen. Von besonderer Relevanz sind dabei grundlegende Prozesse der Eindrucksbildung und der interpersonellen Wahrnehmung (Welche Merkmale einer anderen Person erhalten die Aufmerksamkeit der wahrnehmenden Person? Worauf fokussiert eine Person bei der Wahrnehmung anderer?), verschiedene Vorgänge und die Nutzung spezifischer Informationen bei Entscheidungsfindung, Beurteilungsprozessen und Erwartungsbildung (Aufmerksamkeit, Rationalität, Heuristiken, Priming, Verarbeitung von Hinweisreizen) sowie bei der Einschätzung von Kausalitäten.

 

Soziale Einstellungen und ­Emotionen

Ein weiterer Bereich bezieht sich auf Überzeugungen, Emotionen und Verhaltensweisen, die einen Einfluss auf das soziale Verhalten bzw. die soziale Interaktion ausüben. Hierzu gehören neben grundlegenden Überlegungen zu Einstellungen auch Aspekte der Einstellungsbildung (Wie komme ich zu einer Einstellung? Welche Prozesse der sozialen Informationsverarbeitung werden hierbei wann durchlaufen?) und der Einstellungsänderung (z. B. Balance­theorien, Konsistenz- und Dissonanztheorien). Der Fokus liegt jedoch nicht ausschließlich auf kognitiven Aspekten, auch die Rolle von Emotionen und Stimmungen ist von zentralem Interesse. Als spezielle Formen von Einstellungen und sozialen Emotionen können Phänomene wie Stereotype und Vorurteile, Stigmatisierungsprozesse, Prozesse des Verzeihens, aber auch eher selbstbezogene Prozesse wie soziale Angst, Scham oder Schuld genannt werden. Auch die Einstellung gegenüber dem eigenen und dem fremden Geschlecht sowie damit verbundene Geschlechtsstereotype können zu diesem Bereich der Sozialpsychologie gezählt werden.

 

Soziale Gruppenprozesse

Ein weiterer Themenschwerpunkt fokussiert auf Gruppendynamiken. Die Bedeutung der Gruppendynamik wurde vor allem im Hinblick auf Leistung und Erfolg sowie im Hinblick auf gruppenbezogene Meinungen/Einstellungen und Verhaltensweisen untersucht. Im Wesentlichen geht es dabei um Prozesse der Gruppenbildung (Wann und wie formiert sich eine Gruppe? Wann kommt es zu Koalitionsbildung? Wie kommt es zu Crowding?), um die Struktur von Gruppen, Innergruppenprozesse und die Rollen der darin befindlichen Individuen (z. B. Führung, Macht, soziale Normen, sozialer Einfluss und Konformität, Solidarität), um die Leistung und Leistungsfähigkeit von Gruppen und einzelnen Gruppenmitgliedern sowie um die Beziehung zwischen Gruppen (z. B. Wettbewerb, Konflikte, Diskriminierung, Kooperation sowie Verhandlung und Mediation). Auch interkulturelle Aspekte sind in diesem Bereich von großer Bedeutung.

 

Soziale Interaktion und ­Kommunikation

Bei der sozialen Interaktion und Kommunikation steht zum einen der Informationsaustausch zwischen zwei oder mehreren Personen im Vordergrund. Neben diesem Informationsaustausch sind zum anderen jedoch auch die damit verbundenen motivationalen, emotionalen und sozialen Aspekte von großer Bedeutung. Bei einem Interaktions- oder Kommunikationsprozess modifiziert zunächst mindestens eine Person die Umgebung mindesten einer anderen Person. Im Ergebnis konstruiert die andere Person Repräsentationen ähnlich zu den Repräsentationen, die die erste Person gespeichert hat. Wie diese Konstruktion abläuft, kann in unterschiedlichen Modellen dargestellt werden (Krauss & Fussell, 1996): (1) Das Kodierer-Dekodierer-Modell beispielsweise rückt die Bedeutung der Kodierung der Nachricht in den Vordergrund, da die Bedeutung in der Nachricht verankert wird; (2) Das Intentionalitätsmodell hingegen fragt nach den Zielen des Senders und verlegt die Bedeutung in die Intention des Senders; (3) Das Modell der Perspektivenübernahme verschiebt wiederum den Schwerpunkt auf den Empfänger der Nachricht, sodass sich Bedeutung aus der Perspektive des Empfängers entwickelt; (4) Dialogmodelle betonen das Gespräch zwischen Sender und Empfänger und leiten die Entstehung der Bedeutung aus der gemeinsamen Aktivität ab. Als zentrale Aspekte von Kommunikationsprozessen können dabei soziale Repräsentationen, gemeinsame Wissenskonstruktion, sprachbezogene Aspekte sowie soziale Abhängigkeiten genannt werden. Des Weiteren spielen die emotionale Verfassung und gegenseitige emotionale Bezugnahme und moralische bzw. Wertvorstellungen eine zentrale Rolle. Im Kontext der Massenkommunikation können zudem verschiedene Kommunikationsmedien (Printmedien, Rundfunk/Fernsehen, computervermittelte Kommunikation) und damit verbundene Kommunikationsformen (z. B. Gruppen und Beziehungen im Internet) betrachtet werden. Ein bedeutsames Feld der aktuellen Forschung ist die computervermittelte Kommunikation einschließlich der Nutzung sozialer Medien.

 

Referenzen und vertiefende Literatur

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