Ätiologie
[engl. etiology, aetiology; gr. αἰτία (aitia) Ursache, Grund, Erklärung, λόγος (logos) Wort, Vernunft], [KLI], ist in der Klin. Ps. die Lehre von den Ursachen psychischer Störungen; i. e. S. sind damit auch die Faktoren gemeint, die zu psych. Störungen führen (ursächliche Faktoren). Welche Bedingungen psych. Störungen verursacht haben, hat weitreichende Bedeutungen nicht nur für die Behandlung (man spricht dann von kausaler Behandlung), sondern auch für die Klassifikation psych. Störungen (ihre Ordnung und Einteilung), die Indikation, die Prognose sowie die Prävention. Bei psych. Störungen ist i. d. R. nicht nur eine Ursache an ihrer Entstehung beteiligt, sondern es ist stets von mehreren Ursachen auszugehen, z. B. sowohl von äußeren Lebensbedingungen, familiären und sozialen Einflüssen, der Persönlichkeit oder kogn. und emot. Verarbeitungsprozessen (Multikausalität: Verursachung durch mehrere Faktoren). Die Multikausalität psych. Störungen ergibt sich schon allein dadurch, dass bei deren Entstehung biol. (z. B. genetische Risikofaktoren (Genetik), Stoffwechselerkrankungen), psych. (z. B. emotionale Reaktionen auf belastende Erlebnisse) sowie soziale Faktoren (z. B. soziale Belastungen) zus.wirken. Dies wird als biopsychosoziales Rahmenmodell bez. Außerdem wirken die verursachenden Faktoren zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein, sie beeinflussen sich wechselseitig und werden aktiv durch die betreffende Person verändert. Der zeitliche Entwicklungsprozess einer psych. Störung ist die Pathogenese [gr. pathos Leiden sowie genesis Entstehung]. Dabei untersucht die Aktualgenese die unmittelbar in einer Situation auftretenden emot. Reaktionen, bspw. die Wahrnehmung und kogn. Verarbeitung der Angstreaktion auf eine lebensbedrohliche Situation. Es sind aber auch die pathogenetischen Langzeitperspektiven zu berücksichtigen, die sich auf das Zus.wirken versch. ätiologischer Faktoren in der lebenslangen Entwicklung beziehen («Klin. Ps. der Lebensspanne» oder Entwicklungspsychopathologie, Bastine, 1998). Danach lassen sich drei Einflussgrößen unterscheiden: disponierende, auslösende und stabilisierende Bedingungen. (1) Disponierende Bedingungen schaffen eine Vulnerabilität für die Entstehung einer psych. Störung, ohne dass diese allerdings schon allein zum Auftreten der Problematik führt. Belastungen in der Kindheit, angeb. Merkmale oder frühzeitig entwickelte kogn.-affektive Schemata zählen zu den wichtigsten Dispositionen. (2) Auslösende Bedingungen setzen zeitnah zum Auftreten der Störung ein und sind relativ klar abgrenzbar. Relevante Bsp. sind der Verlust einer nahen Bezugsperson, lebensbedrohende Ereignisse oder umwälzende Veränderungen der Lebensbedingungen (Life-Event, kritisches). (3) Stabilisierende (oder aufrechterhaltende) Bedingungen wiederum sind dafür verantwortlich, dass die Störung beibehalten wird, chronifiziert oder generalisiert; sie verhindern also einen Genesungsprozess oder verursachen sogar eine Ausweitung oder Verschlimmerung. Zur Aufrechterhaltung trägt häufig der Krankheitsgewinn bei, also die pos. Konsequenzen, die mit der Erkrankung verbunden sind, wie die bes. Zuwendung durch Bezugspersonen oder das Vermeiden unangenehmer Aufgaben oder aversiver Erfahrungen. Für Angststörungen ist das Vermeiden angstauslösender Situationen bspw. ein prominenter aufrechterhaltender Faktor, der therap. explizit behandelt werden muss. Ätiopathogenese.