Dilthey, Wilhelm
(1833–1911), [HIS, PHI], wurde 1833 als Sohn eines Pfarrers in Biebrich (heute zu Wiesbaden gehörend) geb. Nach dem Studium der Theologie an den Universitäten Heidelberg und Berlin promovierte er 1864 bei Friedrich Adolf Trendelenburg mit einer phil. Arbeit über Friedrich Schleiermacher. Nach kurzer Tätigkeit als Privatdozent erhielt Wilhelm Dilthey einen Ruf auf das phil. Ordinariat in Basel. Anschließend lehrte er in Kiel, Breslau und ab 1882 in Berlin. Wilhelm Dilthey ist der Hauptvertreter einer historisch orientierten Lebensphilosophie und der Begründer der Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaft auf psychol. Basis. 1883 stellte er in seinem Werk Einleitung in die Geisteswissenschaften der Naturwiss., die den Menschen als Objekt behandelt und instrumentalisiert, die von ihm neu konzipierte Geisteswiss. gegenüber, welche von den Kreationen von Personen ausgeht und sie expliziert. 1894 unterschied er in der programmatischen Abhandlung Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie die geisteswissenschaftliche Psychologie, die später oft verstehende Psychologie genannt wurde (Gruhle, 1956), von der naturwiss. ausgerichteten, erklärenden Psychologie. Hermann Ebbinghaus reagierte 1896 (Ebbinghaus, 1896) auf Wilhelm Diltheys Forschungsprogramm mit einem Aufsatz, in dem er dessen Kritik an der naturalistischen Psych., welche die «geistigen Tatsachen» einem mechanistischen Naturzusammenhang unterordnet, zurückwies. Nach Wilhelm Dilthey können Personen Zusammenhänge der Gesellschaft in dieser und durch diese erfahren und gedanklich nachvollziehen; andererseits basiert alles, was sie wahrnehmen, bis zu eben diesen Zusammenhängen auf dem unmittelbaren Erleben. Nicht zuletzt aufgrund dieses Widerspruchs und einiger weiterer Unklarheiten konnte sich Wilhelm Diltheys Ansatz innerhalb der akademischen Ps. nicht durchsetzen. Eine wirkliche Entscheidung in der Kontroverse Dilthey-Ebbinghaus ist auch in den späteren Jahrzehnten nicht erfolgt (Brauns, 1987). Wilhelm Dilthey übte indes einen starken Einfluss auf eine eigenständig heranwachsende geisteswiss. Ps. aus (u. a. Eduard Spranger). Auch die humanistische Ps. (Abraham Maslow; Persönlichkeitstheorien, humanistische) und die Humanistischen Therapien (insb. Gendlin, Eugene) sind von Wilhelm Dilthey beeinflusst. In methodologischer Hinsicht trug Wilhelm Dilthey dazu bei, die Hermeneutik über die bloße Auslegung vorliegender Texte hinaus zu entwickeln.