Erwartung-Wert-Theorien
[engl. expectancy-value theories], syn. Erwartung x Wert-Theorien, [EM, KOG, SOZ], sind eine Gruppe von psychol. Entscheidungs- oder Handlungstheorien, die das psychol. und (deshalb) deskriptive Pendant zu der in der Wirtschaftswiss. und Philosophie entwickelten, normativen Theorie des subjektiven erwarteten Nutzens (SEU-Theorie; z. B. Jeffrey, 1965; Savage, 1954) darstellen (Entscheiden). Ausgehend von Lewin et al. (1944) wurden Erwartung-Wert-Theorien u. a. in der Motivationsps. (Motivation; Motivationstheorien; z. B. die Theorie der Leistungsmotivation von Atkinson 1964), der Sozialps. (z. B. Theorie des geplanten Verhaltens; Ajzen, 1985; Fishbein & Ajzen, 1975) und der Arbeitsps. (z. B. Vroom, 1964) entwickelt (Feather, 1982; Heckhausen & Heckhausen, 2010). Alle diese Erwartung-Wert-Theorien können als unterschiedliche Ausarbeitungen einer Basisversion der Erwartung-Wert-Theorien aufgefasst werden, die ihrerseits als Erweiterung und quant. Präzisierung der schon in der Alltagsps. enthaltenen Glauben-Wunsch-Theorie der Motivation verstanden werden kann. Die Glauben-Wunsch-Theorie der Motivation ist eine qual. Handlungstheorie, deren zentrale Annahme besagt, dass Personen versuchen, dasjenige zu tun, von dem sie glauben, dass es zu dem führt, was sie sich wünschen (Reisenzein, 2006). Dem qual. Glaubensbegriff der Glauben-Wunsch-Theorie entspricht in der Basisversion der Erwartung-Wert-Theorien der quant. Begriff der subj. Wahrscheinlichkeit (SW) der Folgen der Handlung; dem Wunschbegriff entspricht der Begriff des Wertes (W) der Handlungsfolgen. Das Handlungsprinzip bzw. die Entscheidungsregel der Theorie, das Erwartung-Wert-Prinzip, besagt, dass von mehreren möglichen Optionen (Handlungsalternativen) diejenige für die Ausführung ausgewählt wird, deren Erwartungswert max. ist. Der Erwartungswert (oder erwartete Wert) der Handlungsalternative ,
, ist die Summe der Werte der von der Person berücksichtigten Folgen
von
,
, jeder davon gewichtet (multipliziert) mit der subj. Wahrscheinlichkeit, dass
zu
führt,
. Formal ausgedrückt:
Dieses Handlungsprinzip beruht auf der Idee des entscheidungstheoretischen Konsequentialismus, wonach sich der Wert einer Handlung nach dem Wert ihrer Folgen bemisst. Bei Entscheidungen unter Sicherheit, d. h., wenn die Handlungsfolgen mit praktischer Sicherheit erwartet werden bzw. wenn , ist
einfach die Summe der
. Im allg. Fall, also wenn
, wirkt sich der Wert einer Handlungsfolge
umso stärker auf den Wert der Handlung
aus, je sicherer sich die Person ist, dass
die Konsequenz
herbeiführen wird.
Speziellere Erwartung-Wert-Theorien sind unterschiedliche Ausarbeitungen der beschriebenen Grundversion der Erwartung-Wert-Theorien entweder für Handlungen i. Allg. oder für best. Handlungstypen, wie bspw. Leistungshandeln oder Hilfehandeln (Feather, 1982). Weitere Entscheidungstheorien können als Modifikationen der Grundversion der E. verstanden werden. Z. B. wird in der Prospect-Theorie (Kahneman & Tversky, 1979) angenommen, dass bei der Berechnung des Handlungswerts die Wahrscheinlichkeiten der Handlungsfolgen nicht linear verzerrt werden, bevor sie mit dem Wert der Konsequenzen multipliziert werden. In den Theorien der Entscheidungsheuristiken wird das Erwartung-Wert-Prinzip gegen einfachere Entscheidungsregeln ausgetauscht; aber auch diese Theorien gehen davon aus, dass Entscheidungen auf der Grundlage von Erwartungen über Handlungsfolgen und ihrem subjektiven Wert getätigt werden. ökologische Rationalität, Organisationswahl.