Formatio reticularis
[lat.] «netzförmiges Gebilde», syn. Retikulärformation, [BIO], netzförmiger, den Hirnstamm (Gehirn; s. Abb. dort) durchziehender Teil des Zentralnervensystems; ist wichtige Station des aufsteigenden unspezif. extralemniskalen Systems, d. h., die Formatio reticularis erhält unspezif. afferente Zuströme aus praktisch allen Sinnesorganen, die hier zu einer unspezif. Erregung führen (ARAS). Afferente (Afferenz) Zugänge kommen auch aus anderen Hirnarealen wie dem sensorischen und motorischen Kortex, dem Thalamus sowie dem Hypothalamus. Ihre Efferenzen führen absteigend zum Rückenmark, aufsteigend über die unspezif. Thalamuskerne zum Kortex des Gehirns, zum Hypothalamus und zum limbischen System. Zu den vielfältigen Aufgaben der Formatio reticularis gehören: (1) Steuerung der Bewusstseinslage durch Aktivierung kortikaler Neurone und damit Teilnahme am Schlaf-wach-Rhythmus, (2) Vermittlung affektiv-emot. (Emotionen) Wirkungen sensorischer Reize, (3) Regulation vegetativ-motorischer Prozesse (Atmung, Vasomotorik sowie Schluck-, Husten-, Niesreflexe). Offenbar hat das retikuläre Aktivierungssystem eine dienzephale Fortsetzung im Nucleus reticularis des Thalamus, der Verbindungen zu fast allen Regionen des Thalamus aufweist. Seiner Fähigkeit, hier lokale Aktivierungen bzw. Hemmungen einzelner thalamischer Kerne zu bewirken, wird die Steuerung der reflektiven Aufmerksamkeit (gating) zugeschrieben. Seine allg. Aktivierungsfunktion beruht dagegen darauf, dass er die thalamischen Kerne auch tonisch unspezif. zu «wecken» vermag.
Das retikuläre System ist Voraussetzung für alle Leistungen des Wachbewusstseins. Es aktiviert über unspezif. Bahnen durch kontinuierliche Erregung die Hirnrinde und reguliert durch die unterschiedliche Intensität der Erregung auch die «Helligkeitsstufen» des Bewusstseins. So werden Sinnesreize nur dann bewusst, wenn die Hirnrinde entspr. aktiviert ist. Da jede ankommende Sinnesreizung gleichzeitig über abzweigende (Kollateralen) Nervenfasern das ARAS stimuliert (sofern wir uns nicht im Schlafzustand befinden), sorgen diese insbes. bei starken Reizen für eine zeitlich begrenzte zusätzliche Erhöhung des Bewusstseinsniveaus (Weckreaktion; Weckreaktionszentrum, Wecksystem). Andererseits ist durch Eingänge von der Hirnrinde beim Menschen das Erregungsniveau des Retikulärsystems auch durch Bewusstseinsprozesse regulierbar: wir können zusätzlich (innerhalb gewisser Grenzen) unseren Aktivationsgrad durch Anspannung (z. B. Händedruck) erhöhen oder durch Entspannung senken. Längere sensorische Deprivation führt dagegen zu Veränderungen von Wahrnehmung und Denken.