Kategorienlehre
[engl. category; gr. κατηγορία (kategoria) Aussage, Prädikat], [HIS, PHI], ist ein Grundbegriff der Erkenntnistheorie. Die Kategorienlehre geht hauptsächlich auf Aristoteles und in neuerer Zeit auf Kant, Whitehead und Hartmann zurück. Die «Kategorientafeln» dieser Philosophen unterscheiden sich jedoch generell. Umstritten ist auch, ob fundamentale Kategorien wie Raum und Zeit als apriorische, d. h. vor jeder einzelnen Erfahrung bestehende Formen des Denkens sind wie auch die Gesetze der formalen Logik. Haben sich diese kategorialen Denkformen in der biol. Evolution entwickelt oder wurden sie in der indiv. Erfahrung gewonnen (Anlage-Umwelt)? Ist der Intellekt eine «leere Tafel» für die Sinneserfahrungen oder treffen die Sinneseindrücke eine Tafel aus Marmor, die bereits Strukturen aufweist, d. h. mit der Logik und den Denkkategorien? Mit diesen Gleichnissen veranschaulichten Locke und Leibniz ihre erkenntnistheoret. Auffassungen, die in dem Ggs. zw. dem engl. Sensualismus (Empirismus) und dem Idealismus dt. Philosophen bzw. in der evolutionären Erkenntnistheorie (evolutionäre Rationalität, Evolutionäre Psychologie) bis heute nachwirken. Diese Kontroverse hat die Erkenntnistheorie und das Entstehen versch. Auffassungen und Forschungsrichtungen der Ps. beeinflusst.
Universelle Kategorien wie zugrundeliegende Substanz und Akzidenz, d. h. die bes. Eigenschaften Quantität und Qualität, Relation, Raum und Zeit, Tätigkeit, Kausalität u. a. werden als universell angesehen, dagegen ist das Prinzip von Mittel und Zweck auf das zielsetzende und planende menschliche Denken begrenzt. Hartmann schuf in seinem Werk Der Aufbau der realen Welt eine allg. Kategorienlehre, die auf dem Schichtenbau des Seienden beruht (Schichtentheorie): Anorganisches (unbelebte Natur), Leben, Seele (Psych.) und Geist (überindiv. Geistiges). Er wandte sich kritisch gegen Grenzüberschreitungen und Kategorienfehler(category mistakes), wenn im Materialismus und Physikalismus organische, psych. und geistige Phänomene aus physikalischen Prozessen abgeleitet und «erklärt» werden, im Biologismus Psych. und Geistiges nur aus den Lebensprinzipien begründet oder das Zweckprinzip (Zweckbestimmtheit), aus dem planvollen und zweckbezogenen Denken des Menschen in die Naturwiss. übertragen wird.
In einer heute verbreiteten Ausdrucksweise umfasst die Kategorienlehre sowohl die universellen Kategorien als auch die regionalen (spez.) Kategorien in den Einzelwiss. Die Kategorien der Ps. sind also vorgeordnete Denkformen oder Auffassungen, die mitbestimmen wie psychol. Fachbegriffe («Gegenstands»- Begriffe) entwickelt werden, wie die einzelnen Aussagen bzw. Beobachtungen im Hinblick auf das gemeinte Phänomen und auf die wiss. Fragestellung adäquat zu fassen und theoret. zu verbinden sind. Herbart forderte bereits 1825 (Ps. als Wissenschaft neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik) eine spez. Kategorienlehre der Ps., und von Wundt stammt die umfangreichste Kategorienlehre. Er hebt den Subjektbezug hervor, d. h. das denkende und wollende Subjekt, und bestimmt den Menschen und die geistig-kult. Entwicklung mit den drei Kategorien, die den Naturwiss. und der naturwiss. ausgerichteten Ps. fremd sind: Wertbezogenheit, Zwecksetzung und Willenshandlung.
Gerade die Ps., in ihrer schwierigen Grenzstellung zw. den Geisteswissenschaften, Sozialwiss. (Psychologie, sozialwissenschaftliche), der Physiologie und Biologie, mit den heterogenen Prinzipien und Methoden dieser Gebiete, ist zumindest auf Grundzüge einer umfassenden spez. Kategorienlehre angewiesen. Sie benötigt für diese vielfältigen Zus.hänge – wohl mehr als die meisten anderen Disziplinen – adäquate Kategorien, gestützt auf allg. Erkenntnistheorie und logisch-meth. Analysen. Viele der Kontroversen zw. Richtungen der Ps. und die Abspaltung von Teilgebieten lassen sich in ihrem Kern auf die Frage nach adäquaten Kategorien und auf Kategoriefehler zurückführen. «Der Streit zwischen den verschiedenen Richtungen der Psychologie ist zum großen Teil ein Streit um die Kategorien, auch wenn er auf anderen, abgeleiteten Gebieten ausgefochten wird. Viele Streitigkeiten würden sehr vereinfacht, wenn man sie an der Wurzel packte, d. h. beim Kategorienproblem» (Müller-Freienfels, 1934, S. 156).