Psychologie, Sozialwissenschaftliche
[engl. psychology, social scientific approach], [FSE, HIS, PHI], Sozialwissenschaftliche Psychologie versucht, einen «dritten (integrativen) Weg» zwischen den sich gegenseitig ablehnenden Traditionen der natur- und geisteswissenschaftlichen Psychologie zu konzipieren und zu beschreiten. Schon Wundt hat am Beginn der einzelwiss. Objektdisziplin Ps. eine Kontrastierung der Methoden- und Gegenstandskonzeptionen eingeführt, nämlich in Form der naturwiss.-exp. vs. hermeneutisch-introspektiven Methodik zur Erforschung der niederen vs. höheren Bewusstseinsprozesse. Doch während Wundt beide Richtungen noch in Personalunion vereinte, haben sie sich in der Folge zunehmend aus- und gegeneinander entwickelt, wobei die naturwiss. Ps. im 20. Jhd. (vom Behaviorismus bis zum Informationsverarbeitungsansatz; Informationsverarbeitung) den Hauptstrom darstellt, während geisteswiss. Ansätze (von der Verstehenden Ps. (Verstehen) Spranger’scher Prägung bis zum Symbolischen Interaktionismus) nur als Nebenströmungen bez. werden können. Die bis zur Dichotomisierung (gegenseitige Ausschließlichkeit) gesteigerte Kontrastierung geht v. a. auf die wissenschaftstheoret. Konzeption des Monismus zurück, wie sie (auch) von der naturwiss. Ps. vertreten wird. Danach können und sollen alle Wissenschaften nach der einen (daher: Monismus) szientifisch-exp. Methodik (experimentelle Psychologie) vorgehen, gleichgültig in welchem Gegenstandsbereich sie arbeiten. Der Monismus impliziert daher ein Primat der Methodik vor dem Gegenstand. Dem hält die geisteswiss. Konzeption einen Dualismus entgegen, wie er zeitlich parallel zu Wundt bereits von Dilthey für die Ps. konzipiert und vertreten worden ist. Danach erfordern die unterschiedlichen Gegenstände (nämlich Natur vs. Kultur/Geist/Seele) auch unterschiedliche Erkenntnismethoden. Der Dualismus impliziert also ein Primat des Gegenstandes vor der Methodik. In der konkreten Forschungspraxis der Ps. hat sich diese Dichotomisierung zum einen methodologisch als Konkurrenz zw. dem sog. (nomologisch-exp.) quant. und dem (idiografisch-verstehenden) qual. (qualitative Sozialforschung) Paradigma niedergeschlagen; in Bezug auf die Gegenstandskonzeption strebt die naturwiss. Ps. i. R. einer Schichten-Ontologie die Fundierung in der organismischen Basis des Menschen an (also qua Kooperation und Ausweitung «nach unten» zur Biologie, Med., Neurowiss. etc.), während für die geisteswiss. Ps. die Verbindung «nach oben» zu den Wissenschaften zentral ist, die sich mit dem Geist qua Sinndimension des Menschen beschäftigen (also Soziologie, Pädagogik, Literaturwissenschaft etc.). Aus der fortdauernden Permanenz dieser Divergenzen resultierte im 20. Jhd. eine nie (auf-)gelöste «Krise der Psychologie» (Bühler). In diesem Spannungsfeld versucht die sozialwissenschaftliche Psychologie eine Integration bei beiden Traditionen (und damit auch Synthese von Monismus und Dualismus), indem sie auf der Ebene des Gegenstandsverständnisses von dem Bild des Menschen als «(sozialen) Sinn schaffendem Organismus» ausgeht; auf der Ebene der Methodologie entspricht dem eine möglichst gleichgewichtige Gegenstand-Methodik-Interaktion als Basis für die konstruktive Verbindung von quant. und qual. Methoden (Mixed-Methods-Ansatz; Qualitative Forschungsmethoden).
Daraus ergibt sich für die praktische Forschungskonzeption, dass unter metatheoretischer Perspektive (Wissenschaftstheorie und Methodologie) durchaus an den klass. szientifischen Wissenschaftskriterien festgehalten wird, allerdings unter Fortschreibung der bereits in der analytischen Wissenschaftstheorie begonnenen Liberalisierungen. Das betrifft die (Ziel-)Kriterien des präzisen und expliziten Definierens genauso wie die Konzeptionen von Kausalität, Erklärung und Technologie; hier sind Konzepte wie die stat. Kausalität, aber auch narrative Erklärung (narrative Rekonstruktion) etc. aus den aktuellen metatheoretischen Diskussionen heranzuziehen und fruchtbar zu machen. Gleiches gilt für die Konzepte der Bewährung, des Erkenntnisfortschritts und der Wahrheitskriterien: Dabei geht es um die fließende Grenze zw. Theorie- und Beobachtungssprache, die Rekonstruktion von vorausgesetzten anthropologischen Annahmenkernen (entspr. den Kernannahmen in der strukturalistischen Theoriekonzeption, Strukturalismus) sowie die Einbeziehung des dialog-konsens-theoretischen Wahrheitskriteriums (Dialog-Konsens-Methodik), das v. a. bei der Rekonstruktion der Innensicht von Menschen als Erkenntnisobjekten unverzichtbar ist. Entsprechende qual. Erhebungsverfahren berücksichtigen, dass in der Ps. nicht nur das Erkenntnissubjekt, sondern gleichermaßen das Erkenntnisobjekt zur Reflexion fähig ist, weswegen eine sozialwissenschaftliche Psychologie vom Grundansatz her auch immer eine reflexive Ps. ist. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in einer fließenden Grenze zw. analytischen und synthetischen Annahmen (weil z. B. manche Attributionshypothesen schon analytisch im Sprachgebrauch verankert sind). Außerdem wird die Sozialität der menschlichen Sinngenerierung in der sozialwissenschaftlichen Psychologie insbes. dadurch abgedeckt, dass sie über den methodologischen Individualismus (der naturwiss. Ps.) hinaus die Kollektiv- und Systemebene der menschlichen Gemeinschaft und Gesellschaft/en einbezieht, und zwar in Form von methodologischen wie ontologischen Mehr-Ebenen-Ansätzen (Holismus). Das impliziert die interdisziplinäre Vernetzung sowohl mit jenen angrenzenden Wissenschaften, die ontologisch «tiefere» (biol.) Schichten erforschen, als auch solchen, die traditionell für die «höheren» (kult.) Ebenen zuständig sind. Dadurch spielen folglich auch die anthropologische Reflexion und die ethische Rechtfertigung der Forschungspraxis sowie Theorieanwendung für die sozialwissenschaftliche Psychologie eine essenzielle Rolle.
Parallel bearbeitet die sozialwissenschaftliche Psychologie unter objekttheoret. Perspektive (in Bezug auf die inhaltlich gegenstandsbezogenen Probleme) alle Fragestellungen von den organismischen Grundlagen bis zu den kult. Leistungen des Menschen. Dabei sind naturgemäß jene Probleme von besonderem Interesse, die sich auf die Relation von biol. Basis und sozialer Entwicklung beziehen: wie etwa das Anlage-Umwelt-Problem, die Dispositionismus-Situationismus-Frage oder das Verhältnis von Sprache und Denken. Innerhalb der Sinndimension besitzen jene Themen ein besonderes Gewicht, die sich mit den Möglichkeiten, aber auch Grenzen der menschlichen Reflexivität und Rationalität beschäftigen, von der Relation Kognition/Emotionen über kogn. Täuschungen und indiv. vs. soziale Rationalitätskonzeptionen bis hin zur autobiografischen Narration und Entwicklungsentwürfen des Selbstkonzepts (Selbstutopien). Dabei bezieht die s. Ps. nicht nur die sozialpsychol. (bzw. mikrosoziol.) Einbettung der jew. Strukturen und Prozesse in die Meso- und Makro-Ebene der sozialen Institutionen und Gesellschaften ein, sondern verfolgt mit besonderem Gewicht auch die Theorie-Praxis-Integration (von der Forschung z. B. zur Genese und Veränderung von Vorurteilen über Intergruppenkonflikte bis zur friedenspsychol. Implementation versöhnungsorientierter Prozesse (Friedenspsychologie) zw. Kriegsgegnern etc.). Zugleich führt der integrative Impetus der sozialwissenschaftlichen Psychologie dazu, dass sie mit bes. Nachdruck die Wiederentdeckung alter phil. Grundfragen für die Ps. (mit) betreibt, wie das Leib-Seele-Problem (heute in der Relation von Gehirn und Geist thematisch), die Grundfragen der menschlichen Intentionalität, des Bewusstseins, der Erlebnisqualitäten (Qualia-Problem) und nicht zuletzt der Willensfreiheit. Dabei verfolgt sie naturgemäß in erster Linie Gegenmodelle zur (naturwiss.) «Naturalisierung des Mentalen», kann aber gerade dadurch im Optimalfall auf lange Sicht zu einer intra- und interdisziplinären Theorienintegration beitragen. Theoretische Psychologie.