Schizotypie

 

[engl. (adj.) schizotypal; gr. σχίζειν (schízein) (ab)spalten, τύπος (typos) Form, Gepräge], [KLI, PER], unter den weiten Begriff der Schizotypie werden Persönlichkeitszüge subsumiert, die qual. den Symptomen der psychotischen Störungen, insbes. der manifesten Schizophrenie entsprechen. Aufgrund historischer Entwicklungen und der Existenz konkurrierender Schizotypie-Modelle (für eine Übersicht und Gegenüberstellung: Grant et al., 2018) herrscht jedoch noch Uneinigkeit bzgl. der Def. des Schizotypie-Konstruktes und dessen Verhältnis zu verwandten Konzepten wie Schizophrenierisiko und Psychoneigung (inkl. der Auslegung des Begriffes Psychose). Unstreitig ist jedoch, dass Schizotypie nicht mit Schizotyper (Persönlichkeits-)Störung (SPD) gleichzusetzen ist, obgleich in der Literatur Schizotypie häufig über Maße für SPD operationalisiert wird; dies erschwert die Interpretation zahlreicher publizierter Befunde. Zudem ist unumstritten, dass sämtliche bislang genannten Konstrukte untereinander pos. korreliert sind, und die Schizotypie somit eine beachtliche prädiktive Power bzgl. der Ausbildung einer (schizophrenen) Psychose hat. Schizotypie ist mit einer Vielzahl an bekannten Schizophrenie-Korrelaten assoziiert und wird als einer ihrer Endophenotypen angesehen (Barrantes-Vidal, 2015). Auch ist anerkannt, dass Schizotypie ein multifaktorielles Konstrukt ist, wobei die pos., neg. und desorganisierte Facette am häufigsten repliziert wurden. Positivs. beschreibt Aspekte wie wahnhaftes/magisches Denken und extrasinnliche Wahrnehmung, Negativs. umfasst Anhedonie, Apathie, Anergie, Alogie etc., und Desorganisation die Kraepelin‘schen (Kraepelin, Emil) und Bleuler’schen (Bleuler, Paul Eugen) Konzepte von Zerfahrenheit und assoziativer Lockerung.

Das älteste Schizotypie-Modell (taxonisches Modell von Meehl) baut auf dem Konzept der latenten Schizophrenie von Bleuler auf. Hierin wird angenommen, dass Schizotypie ein pathologischer Zustand ist, der aufgrund eines monogenetisch bedingten, integrativen neuronalen Defekts entsteht. Schizotypie kommt gem. Meehl also nur in einer diskreten Gruppe von Menschen mit genetischem Schizophrenierisiko vor (Prävalenz: etwa 10%), ist jedoch bei 90% dieser Personen nicht behandlungsbedürftig. Unter widrigen Umständen oder Beteiligung anderer genetischer Faktoren (polygener Potentiatoren), kann die Schizotypie jedoch eine Extremausprägung annehmen, die dann als manifeste Schizophrenie diagnostizierbar ist (Prävalenz bei Schizotypen: 10%; also 1% in der Gesamtbevölkerung). In diesem Modell ist also Schizotypie mit Schizophrenierisiko gleichzusetzen. Wie Bleuler nahm Meehl an, dass pos.psychotische Zeichen und Symptome (sog. Positivs.) nur akzessorische Phänomene sind; anders als Bleuler sah er jedoch zunächst das Primärphänomen der Schizotypie und Schizophrenie nicht in der assoziativen Lockerung (desorganisierte Schizotypie), sondern in der Anhedonie. Dementspr. erfassen die ältesten, auf diesem Modell aufbauenden Schizophrenieskalen (Wisconsin Schizotypy Scales [WSS]) nur die pos. und neg. Schizotypiefacette. Rezente Forschungsergebnisse – wie auch eine Überarbeitung des eigenen Modells durch Meehl – betonen jedoch die Wichtigkeit der Erfassung der Desorganisation sowie deren prädiktive Power bzgl. der Variabilität pos.schizotyper Phänomene.

Im Ggs. zu dem krankheitsbasierten Modell von Meehl sehen persönlichkeitsbasierte Konzepte die Neigung zu psychotischer Störung als in der Population normalverteilt an. Diese dimensionalen Modelle bauen wesentlich auf Arbeiten von Kretschmer und Eysenck auf und sehen die Psychoseneigung als monotone Funktion (jew.) einer Persönlichkeitsdimension an. Hierbei ist allerdings zu betonen, dass die spätere Formulierung der psychotischen Dimension von Eysenck unter dem Namen des Psychotizismus wesentlich sowohl von seinen eigenen Vorarbeiten als auch von denjenigen Phänomenen abweicht, die üblich mit Psychosen assoziiert sind. Die Eysenck’sche P-Skala wird also in ihrer modernen Form nicht als Maß für Schizotypie angesehen. Andere Konstrukte, wie Tellegens absorption, Cloningers self-transcendence, die Big Five-Facette V und die Fünffaktoren-Facette (Fünf-Faktoren-Modell) openenness to experience leiden ebenfalls unter wesentlichen konzeptuellen Schwierigkeiten in Hinblick auf die (unzureichende) Psychoseprädiktion und werden somit in der Schizotypie-Forschung ebenfalls kaum verwandt. Von bes. Erklärungswert ist hierbei die Schneider’sche Formulierung von Erstrangsymptomen, die im Wesentlichen pos.schizotypen Aspekten entsprechen. Doch ist die Schneider’sche Schwerpunktsetzung auf Pos.symptomatik als Kernkonstrukt der Schizophrenie in der Literatur umstritten und im Widerspruch mit Befunden, dass das Kernstück der Schizophrenie und Schizotypie die Desorgansisation ist, die Pos.symptomatik/-s. hingegen ein akzessorisches Phänomen.

Die Arbeiten von Schneider spielten jedoch eine Rolle bei der Formulierung der Symptome der SPD zur Inklusion in das DSM-III; wie auch das damalige Bestreben, Möglichkeiten der Abgrenzung zw. versch. Störungsbildern zu finden. Wo also die Schizotypie-Forschung darauf bestrebt ist, Gemeinsamkeiten zw. Persönlichkeit und psychotischen Störungen zu finden, sind die SPD-Kriterien vor dem Hintergrund entstanden, ein Störungsbild zu beschreiben, dass sich von den Achse-I-Störungen abgrenzt. Dennoch implizieren die o.g. monotonischen dimensionalen Modelle, dass gesunde Schizotypie-Ausprägungen, SPD und manifeste Psychosen auf einer singulären Trajektorie liegen und durch (z. T. willkürliche) Cut-off-Werte zu unterscheiden sind.

Hiervon grenzt sich das sog. volldimensionale Schizotypie-Modell von Claridge ab, das gegenwertig als wohl herrschende Meinung in der Schizotypie-Forschung anzusehen ist. Claridge argumentiert, dass die Positivs. alleine nur notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für psychotische Störung ist. Stattdessen zeigt er auf, dass Personen mit Extremausprägungen in Positivs. existieren, die (bei zeitgleich unter dem Bevölkerungsdurchschnitt liegender Negativs. und Desorganisation) nicht nur keine klin. Relevanz haben, sondern ihr außersinnliches Erleben und magisches Denken sogar als heilsam empfinden. Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung weisen diese Personen überdurchschnittlich hohe Lebenszufriedenheit vor, weshalb sie mitunter als «happy schizotypes» bez. werden. Das Erkrankungsrisiko verortet Claridge hingegen in eine zweite Dimension, die er als  Gesundheit bez., und die nicht spezif. für psychotische oder gar psych. Störungen ist. Er geht also davon aus, dass hohe Schizotypie nur dann zur Ausbildung einer Störung führt, wenn sie von allg. niedriger Gesundheit oder Resilienz begleitet ist (Barrantes-Vidal et al., 2015). Aktuelle Forschung legt nahe, dass sich die Gesundheitsdimension Varianz mit der neg. und umso mehr der desorganisierten Schizotypie-Facette teilt, sodass das Schizophrenierisko – wie auch in den Formulierungen von KraepelinBleuler und Meehl – v. a. in der Desorganisation liegt. Weiterentwicklungen und tiefergehende Betrachtung des voll-dimensionalen Modells legen somit nahe, dass gesunde Schizotypie-Ausprägungen, psychoseverwandte Persönlichkeitsstörungen und klin.-manifeste Psychosen nicht Gradationen einer einzelnen Dimension, sondern vielmehr Taxon-ähnliche Clusterungen (cluster, clustering) der einzelnen Schizotypie-Facetten sind (Grant et al., 2018). Zu diesem Zwecke schlägt Claridge die Erfassung einer vierten Facette vor, die impulsive und emotional-instabile Merkmale (wie bspw. bei Borderline PS) sowie exzentrische/nonkonforme Eigenschaften (wie bspw. bei SPD) erfasst.

Referenzen und vertiefende Literatur

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