Amnesie
[engl. amnesia; gr. α- (a-) ohne, μνήμη (mneme) Erinnerung], [BIO, KOG], bez. eine schwere globale Gedächtnisstörung bzw. ist ein Sammelbegriff für eine teilweise oder gänzliche, zeitweise, andauernde oder progrediente Einschränkung der Fähigkeit, Informationen zu erwerben, zu speichern oder abzurufen (Gedächtnis). Wichtige Formen sind: (1) anterograde Amnesie bez. die Beeinträchtigung der Fähigkeit nach einem schädigenden Ereignis Gedächtniseinträge vorzunehmen; (2) retrograde Amnesie bez. die Beeinträchtigung der Fähigkeit des Abrufs von Gedächtniseinträgen, die vor dem schädigenden Ereignis abrufbar waren. Diese weist häufig einen zeitlichen Gradienten auf, wobei Einträge, die unmittelbar vor dem schädigenden Ereignis erworben wurden, eher nicht abgerufen werden können als frühere Einträge (Ribot’sches Gesetz); (3) transiente globale Amnesie eine abrupt auftretende, vorübergehende (unter 24 Std.), umfassende Amnesie, die stärker den anterograden als den retrograden Bereich betrifft; psych. oder physische Auslöser; (4) psychogene Amnesie, nach spezif. emot. Ereignissen (Trauma) auftretende Amnesie; v. a. die Autobiografie betreffend; nach einer Dauer von Tagen oder Monaten ist vollst. Remission möglich; (5) infantileAmnesie; i. d. R. ist die Störung modalitätsübergreifend, d. h. sowohl verbale als auch figurale, semantische und episodische Informationen sind betroffen.
Auf Hirnebene (Gehirn) werden Amnesien durch das Studium natürlicher Läsionen (Hirnschädigung), postoperativer Zustände, tierexp. vorgenommene Hirnläsionen oder Pharmakaeinsatz beschrieben, die das Funktionieren von Neurotransmittern reversibel verändern. Ursache einer Amnesie ist i. d. R. eine meist bilaterale Schädigung von Strukturen oder Faserverbindungen des Papez’schen Schaltkreises mit Läsionen im medialen Temporallappen (Hippocampus, Gyrus parahippocampalis, ethorhinaler Kortex), im anterioren Thalamus, den Copora Mamillaria oder im basalen Vorderhirn. Solche Läsionen treten auf nach bitemporalen Läsionen (z. B. Herpes simplex encephalitits, Temporallappenepilepsie (Epilepsie), Temporallappenteilresektionen), dienzephalen Läsionen (z. B. bilaterale Thalamusinfarkte (zerebrovaskuläre Erkrankungen), Tumore im dritten Ventrikel (Hirntumor), Korsakow-Enzephalopathie) sowie Läsionen des basalen Vorderhirns (z. B. bei Rupturen von Aneurysmen der Arteria communicans anterior). Darüber hinaus können auch diffuse Läsionen (z. B. nach Schädel-Hirn-Trauma oder Hypoxien) zu schweren Gedächtnisstörungen führen. Eine Amnesie ist Leitsymptom versch. demenzieller Erkrankungen (Demenz) insbes. der Alzheimer-Krankheit. Bei demenziellen Erkrankungen geht die Gedächtnisstörung per definitonem mit weiteren kogn. Störungen einher. Die organische Amnesie i. e. S. ist eine isolierte Gedächtnisstörung, bei der Aufmerksamkeitsleistungen (Aufmerksamkeit), Intelligenz und Sprache sowie das Kurzzeitgedächtnis sowie nichtdeklarative Gedächtnisleistungen intakt sind. Allerdings gibt es auch eine Reihe hirnorganischer Erkrankungen, bei denen Gedächtnisstörungen mit anderen kogn. Störungen einhergehen. Es handelt sich bei o. g. Befunden jedoch um Korrelationsstudien, aus denen nicht geschlossen werden kann, dass die kogn. Funktion am Ort der Läsion repräsentiert ist; es kann lediglich von Störbarkeitsbereich gesprochen werden (z. B. «Flaschenhalsstrukturen» auf dem Weg zu einer Zielregion). Ferner kann vom Studium des verletzten bzw. beeinträchtigten Gehirns nur bedingt auf die Funktionsweise des intakten Gehirns geschlossen werden.
Findet sich bei einer ausgeprägten, meist retrograden Gedächtnisstörung keine organische Ursache, spricht man von funktionellerAmnesie Nicht selten tritt diese im Zusammenhang mit einem (oft leichten) Schädel-Hirn-Trauma sowie im Rahmen einer Epilepsie auf, ohne dass sich bildgebend (bildgebende Verfahren) eine strukturelle Läsion nachweisen lässt. Werden hingegen traumatische Erlebnisse oder schwere psychische Belastung als ursächlich angenommen, so spricht man von dissoziativer Amnesie. Eine Amnesie kann vorübergehender Natur sein (z. B. nach schwerem Alkoholabusus oder bei der transienten globalen Amnesie). Das organisch amnestische Syndrom hat jedoch einen meist chronischen Verlauf. Im Rahmen der neuropsychol. Therapie gilt es den Alltag an die Gedächtnisstörung anzupassen (z. B. durch den Aufbau von Routinen, die Verwendung von Checklisten oder Hinweisschildern) und durch die Etablierung von externen Gedächtnishilfen das Handicap im Alltag zu reduzieren.