Einsamkeit
[engl. loneliness], [EM, GES, SOZ]. Einsamkeit lässt sich als Beziehungsdefizit def., das v. a. bezogen auf freundschaftliche, romantische-sexuelle, familiäre und nachbarschaftliche Beziehungen (soziale Beziehungen) auftritt (Schmidt & Sermat, 1983). Außerdem kann sich Einsamkeit im Berufsbereich manifestieren (Wright & Silard, 2021). Das Gefühl der Einsamkeit tritt bes. im Zus.hang mit einem Defizit an Kontakten im freundschaftlichen Bereich auf. Zustimmung zu der folgenden Feststellung steht für ein solches Defizit, das mit mehr erlebter Einsamkeit verbunden ist: «Ich habe wenig Freunde, bei denen ich mich darauf verlassen kann, dass sie ihren Teil einer gegenseitigen Verpflichtung einhalten.» Einsamkeit ist mit einem neg. Gefühl verbunden, das entsteht, wenn eine neg. Diskrepanz zw. erwünschten und tatsächlichen soz. Kontakten wahrgenommen wird (Cacioppo et al., 2015).
Generell lassen sich drei Prototypen der Einsamkeit unterscheiden (Horowitz et al., 1982): (1) Gedanken und Gefühle, die mit der Trennung von anderen zusammenhängen; (2) Neg. Gefühle wie Traurigkeit und Ärger; (3) Selbstinitiierte Isolierung von anderen durch Vermeidung soz. Kontakte.
Einsamkeit trägt zur Gesundheitsbeeinträchtigung und emotionalem Distress bei und hat deshalb eine große Bedeutung für die Klinische Psychologie und Psychotherapie. Die Schätzungen über die Verbreitung von Einsamkeit in der westlichen Welt sind hoch. In Neuseeland wird berichtet, dass 33% der über 15-Jährigen angeben, dass sie sich in den vergangenen vier Wochen einsam gefühlt haben. In Großbritannien wird geschätzt, dass sich 5-6% der Erw. «oft» einsam fühlen und 21–31% «manchmal». Einsamkeit zählt zu den wichtigsten Risikofaktoren für die Beeinträchtigung der psych. Gesundheit (Cacioppo et al., 2015).
Die Verbreitung von Einsamkeit ist in der Folge der Corona (SARS-CoV-2) Pandemie gestiegen (Berger et al., 2021), sei es aufgrund von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit oder von Einschränkungen aufgrund des fehlenden Impfstatus oder aufgrund allg. Maßnahmen, die dazu dienen, die Distanz zw. den Menschen zu vergrößern; einerseits i. S. der physischen Distanz durch die Verwendung von Abstandsregeln, andererseits i. S. der soz. Distanz durch die Empfehlung, Masken zu tragen. Darüber hinaus sind regionale Unterschiede in der Einsamkeit zu berücksichtigen (Buecker et al., 2021), die mit Merkmalen wie der Region (Befragte aus Ostdt. verweisen auf mehr Einsamkeit als Befragte aus Westdt.) und der wahrgenommenen Entfernung zu Freizeitmöglichkeiten zusammenhängen, wenn auch indiv. Unterschiede als Determinanten der Einsamkeit wichtiger sind als regionale Unterschiede.
Erwartungsgemäß hängt Einsamkeit mit Alleinsein zusammen (Russell et al., 1980). Demensprechend ergibt sich eine neg. Korrelation zw. Einsamkeit und Zahl der Kontakte mit Freunden und Familienangehörigen (Buecker et al., 2021). Allerdings finden sich auch viele Befragte, die sich einsam fühlen, obwohl sie viele soz. Kontakte haben (Cacioppo et al., 2009 ). Eine Teilgruppe der Befragten lässt auch eine Präferenz für das Alleinsein erkennen (Nestler et al., 2011).
Einsamkeit breitet sich in sozialen Netzwerken aus, da sie in der Kommunikation von einer einsamen Person an weniger einsame Personen weitergegeben wird. Die Folge davon ist, dass Personen, auf die sich die Einsamkeit ausdehnt, ihre soz. Kontakte längsschnittlich in dem Netzwerk reduzieren. Dadurch entstehen innerhalb des Netzwerks Cluster von einsamen Personen. Außerdem findet sich Einsamkeit eher bei Personen, die sich an der Peripherie des Netzwerks finden Cacioppo et al., 2009). Das spricht dafür, dass einsame Menschen in ihrem soz. Netzwerk an den Rand gedrängt werden.
Aus der Perspektive der Persönlichkeitspsychologie und Differentiellen Psychologie lässt sich aufgrund metaanalytischer Ergebnisse feststellen, dass Einsamkeit primär mit geringer Extraversion und hohem Neurotizismus zusammenhängt. Darüber hinaus ergab sich, dass Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrung neg. mit erlebter Einsamkeit zusammenhängen (Buecker et al., 2020). Das Bindungsverhalten ist ebenfalls ein bedeutsamer Prädiktor von Einsamkeit, da vermeidende und ängstlich-ambivalente Personen mehr Einsamkeit zum Ausdruck bringen als sicher gebundene Personen. Wenn soz. Kontakte fehlen, entsteht vielfach Einsamkeit, die häufig mit Depressivität verbunden ist (Lobdell & Perlman, 1986), wie auch die Metaanalyse von Erzen und Cikrikci (2018) zeigt. Unter den Facetten der Einsamkeit erreicht Depressivität einen hohen Stellenwert (Horowitz et al., 1982).
Einsamkeit steht in einer pos. Beziehung zu Schüchternheit, Abwertung anderer und soz. Angststörungen und steht in neg. Zusammenhang mit Selbstwert (Russell et al., 1980). Männer und Frauen unterscheiden sich nach einer Studie von Maes et al. (2019) in der erlebten Einsamkeit nur geringfügig, wenn auch in anderen Studien Geschlechtsunterschiede berichtet werden (Buecker et al., 2021).
Einsamkeit hat neg. Effekte auf die mentale und physische Gesundheit (Cacioppo et al., 2015; Buecker et al., 2021). In diesem Zusammenhang sind neben der Depressivität auch Alkoholismus, Gefährdung durch Selbstmordgedanken (Suizidalität), Alzheimer-Krankheit, Schlaganfälle und Übergewicht zu nennen. Daher ist eine Behandlung von Einsamkeit geboten, die durch öffentliche Interventionsprogramme wie in Großbritannien, Dänemark, Kanada und den USA angeboten wird. Andere Interventionen basieren auf Gruppentherapie, Mentoring-Programmen oder Training von soz. Kompetenzen.
Erlebte Einsamkeit wird i. d. R. durch Fragebogen gemessen. Diese beruhen meist auf der UCLA-Einsamkeitsskala (Russell et al., 1980; dt. Fassungen: Döring & Bortz, 1993; Stephan & Fäth, 1989; Bsp.items: «Ich fühle mich allein», «Ich fühle mich ausgeschlossen».