Friedenspsychologie und militärische Gewalt
[engl. peace psychology and military force], [SOZ], in der Friedenspsychologie wird militärische Gewalt abgelehnt oder – i. S. der Charta der Vereinten Nationen von 1945 – als Ultima Ratio angesehen. Das Militär ist eine gesellschaftliche Organisation, in der Menschen für Kriegsführung sozialisiert werden. Dabei wird u. a. das kult. universell gültige Tötungstabu aufgehoben und die Fähigkeit zu töten systematisch trainiert; zudem lernen Soldaten, das eigene Leben notfalls zu opfern. Regierungen betonen, dass die wesentliche Aufgabe des eigenen Militärs die (territoriale) Verteidigung sei; zudem wird die Notwendigkeit von Kriegen behauptet, um Frieden und Gerechtigkeit herzustellen (gerechter Krieg, humanitäre Intervention, Schutzverantwortung). Genauere Analysen zeigen, dass bei Kriegen diese friedensorientierten Ziele häufig mit begleitenden Interessen in Zusammenhang stehen. So können sie dadurch mitbegründet sein, dass eigene Interessen durchgesetzt werden sollen, insbes. kult., ökonomische (Rohstoffe, Absatzmärkte, Handelswege) und militärische Dominanz. Daher ist eine wichtige Aufgabe der Friedenspsychologie, die kogn. und emot. Repräsentation von Verfassungen, Sicherheitspolitik, Militärstrategien und Waffensystemen hinsichtlich ihrer Orientierung auf offensive Kriegsführung zu analysieren – und zwar in der Bevölkerung und bei deren Repräsentanten. Die Existenz von Armeen belegt, dass Krieg und Gewalt selbstverständliche Optionen der Konfliktaustragung sind. Die Entscheidung, beträchtliche Mittel ins Militär zu investieren und Menschen im Gebrauch von Waffen zu trainieren, erleichtert und fördert die Entscheidung, dies in Krisensituationen auch zu nutzen. Der Zivilisierung von Konfliktaustragungen kommt in der Friedenspsychologie daher eine große Bedeutung zu. Eine psychol. Neubewertung von Kriegen wäre eine bedeutsame kult. Aufgabe (Kultur des Friedens). Danach könnten Kriege nicht als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern als Scheitern der Politik bewertet werden. Kriege werden – sofern sie nicht Verteidigungskriege sind – psychol. insbes. mit dem Aufbau von Feindbildern begründet. Mit psychologischer Kriegsführung sollen im Vorfeld oder während eines Krieges u. a. der Siegeswille des eigenen Militärs erhöht und die Bevölkerung mobilisiert werden, den Krieg zu unterstützen. In Kriegen werden global akzeptierte moralische Standards aufgehoben – übliche Verhaltensweisen sind Töten und Zerstören, auch Morden und Erniedrigen. Kriege führen neben der Zerstörung von Infrastruktur in den betroffenen Ländern (u. a. Häuser, Verkehrswege, Fabriken, Wasser- und Stromversorgung) zu vielen Toten, zu schwersten körperlichen Verletzungen und psych. Störungen (u. a. Posttraumatische Belastungsstörung), zu psych. Leid und sozialem Elend. Davon sind Soldaten, in erheblich größerem Ausmaß aber die Zivilbevölkerung betroffen. Kriege lösen nicht die zugrunde liegenden Probleme, sie provozieren häufig neue Gewalt und neue Kriege. So tritt z. B. in Nachkriegsgesellschaften ein erhöhtes Ausmaß an familiärer und gesellschaftlicher Gewalt auf. Darüber hinaus fehlen durch die Ausgabe von Geld und Ressourcen in Militär und Krieg diese für zivile Aufgaben, u. a. im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem. Die Folgen und Kosten von Kriegen werden bislang kaum umfassend und obj. untersucht.