Kinderzeichnung

 

[engl. child's drawing], [EW], seit über hundert Jahren Forschungs- und Demonstrationsgegenstand als Teilgebiet der Ps. des Zeichnens. Historisch im Zusammenhang mit der reformpäd. Kunsterziehungsbewegung und der Kultur- und Kunstkritik zunächst (1) Sammeln und Massenuntersuchungen von Kinderzeichnungen (Fragestellungen: Entwicklungsphasen, -stufen, Geschlechtsunterschiede, Kulturvergleiche, Altersnormen bes. für Intelligenz), daneben etwa ab 1910 (2) allgemeinpsychol. sensomotorische und wahrnehmungspsychol., gestalt- und ganzheitspsyhol. Interpretationen, ab 1925 (3) diagn.: charakterologische und persönlichkeitspsychol. Systematik (in Anlehnung formal an grafologische, inhaltlich an psychoanalytische Deutungsprinzipien), übergehend in (4) phänomenologische und ausdruckspsychol. Theorien und «klinische» Diagnose- und Prognosemuster.

In der entwicklungspsychol. Theorie dient die Kinderzeichnung anfangs der Darstellung von Reifungsvorgängen unter der Annahme, dass sie als naive Gestaltung direkte Rückschlüsse auf die Art der Erlebens- und Reaktionsweisen erlaube und diese bildhaft und beispielhaft belege. Seit Langem jedoch schränkt man diese Ausdrucksthese ein, indem man die Kinderzeichnung als eine sich immer ausgeprägter verselbstständigende Zeichen- und Bildsprache auffasst. Damit ist auch die Reifungsthese (gesetzmäßige Abfolge von Entwicklungsstufen z. B. bei Mensch- und Baumzeichnung) weitgehend suspendiert, weil die figuralen Differenzierungsreihen einer gestaltlogischen Strukturierung folgen, also objektbezogen und nicht personbezogen sind und mithin durchaus asynchron sein können. Wenn die frühen zeichnerischen Gestaltungen in ihrer Grundstruktur als nahezu unabhängig von kult. und historischen Einflüssen erscheinen (Unabhängigkeitsthese), so ist dies stärker durch die den motorischen Lernverlauf bestimmende Reduktion der Bewegungsvielfalt (Schematisierung) auf wenige Grundformen und nicht so sehr durch das von Umwelt und Erziehung vermittelte Auffassungs- und Bedeutungserleben bedingt. Zwar sind alle einfachen (z. T. auch archaischen) Gestaltungsstufen auf wichtige Gestaltungsmerkmale hin vergleichbar und in Differenzierungsstufen parallelisierbar (Übereinstimmungsthese), doch gilt dies nur hinsichtlich des Bauplanhaften und lässt nicht auf prinzipielle Gleichheit der Erlebens- und Erfahrungsstruktur schließen. Nicht belegbar ist, dass sich die künstlerische Darstellung im Übergang aus der kindlichen Gestaltung entwickelt (Ursprungsthese). Vielmehr bildet sie sich in der Begegnung mit der künstlerischen Tradition oder eigener, bereits erreichter Form. Dabei können, wie in der modernen Kunst, naive oder primitive Gestaltungsweisen für diese Auseinandersetzung von hohem Wert sein. Kunstpsychologie, orthoskopisches Zeichnen.

Referenzen und vertiefende Literatur

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