Kontrollpsychologie

 

[engl. psychology of control], [KOG], Teilgebiet der Ps., das sich mit der zielbezogenen Manipulation der Umwelt und der eigenen Person befasst. Kontrollpsychologie untersucht die Auswirkungen personaler Kontrolle auf den Menschen und sein Verhalten. Allg. gesichert gilt, dass Kontrolle über die Lebensspanne hinweg ein robuster Prädiktor von Wohlbefinden ist. Weitere pos. Effekte wurden in einer Vielzahl von Lebensbereichen beobachtet: Kontrolle steht in Verbindung mit Optimismus und Zielerreichung, Motivation und Ausdauer, Bewältigungsverhalten (Coping), Gesundheit und Selbstwertgefühl. Daher wird meist ein allg., kulturübergreifendes Bedürfnis nach Kontrolle angenommen. Kontrolle kann obj. in einem best. Ausmaß gegeben sein und wird subj. wahrgenommen. Im Handlungsverlauf kann sie erfahren oder ausgeübt werden. Akteure von Kontrolle sind Individuen oder Gruppen, die mit gewissen Mitteln (bspw. Handlungen; Handlungskontrollmechanismen) oder auf best. Wegen (bspw. Strategien) Zielzustände zu erreichen trachten. Kontrolle kann im Nachhinein subj. bewertet (Kausalattribution) oder prospektiv zur Vorhersage eigener Möglichkeiten (Erwartung, Selbstwirksamkeitserwartung) expliziert werden. Sie nimmt dabei unterschiedliche Generalisierungsniveaus an, von aufgaben- oder bereichsspezif. (bspw. gesundheitsbezogen) bis allg. (bspw. generalisierte Überzeugungen als Persönlichkeitseigenschaft; Persönlichkeit).

Kontrollpsychologie hat sich als eigenes Forschungs- und Anwendungsfeld in den letzten Jahrzenten herausgebildet; eine Vielzahl versch. theoret. und empir. Ansätze hat unter Verwendung jew. eigener Begrifflichkeiten zum Kontrollkonzept beigetragen (bspw. Handlungsps., soziale Lerntheorie (Lernen, soziales), Hilflosigkeitsforschung und Sozialps.). Zur Einordnung der mehr oder weniger stark überlappenden Konstrukte hat E. A. Skinner obige Taxonomie vorgeschlagen.

Als handlungspsychol. (Handlungskontrolltheorie) verankertes Konstrukt ist personale Kontrolle allg. def. als die Differenz der Wahrscheinlichkeit, dass eine Konsequenz mit oder ohne Einwirkung der Person(en) eintritt. Kontrolle bezieht sich immer auf einen Zielzustand und setzt sich aus folg. Komponenten zus.: Ein best. Handlungsziel ist bekannt und darüber hinaus als persönliches Ziel angenommen. Es ist ein Weg bekannt, auf dem dieses Ziel zu erreichen wäre (Mittel-Ziel-Überzeugung), die entspr. Handlung kann tatsächlich ausgeführt werden (Kompetenz) und dies ist auch bewusst (Selbstwirksamkeitserwartung). Eine konkrete Kontrollausübung bedarf darüber hinaus der eigentlichen Tat («Kontrollieren»). Obj. nimmt das Ausmaß personaler Kontrolle in realen Handlungssituationen fast nie einen absoluten Wert an, sondern wird reduziert durch Einflüsse von dritter Seite, soweit sie sich der personalen Kontrolle entziehen (bspw. andere Menschen, sachliche Zwänge oder schicksalhafte Umstände). Wird direkte Kontrollausübung behindert, so kann sie subj. dennoch als potenziell vorhanden oder zukünftig erhalten bleiben, wenn der zielbezogenen Handlung bewältigbare Anforderungen (bspw. temporäre Hindernisse) entgegenstehen. Die Kontrolle von Zw.zielen oder von anderen Menschen, die wirksam vermittelnd eingesetzt werden können, wird als indirekte Kontrolle bez. Daneben besteht die Neigung, vermehrte Anstrengung zur Zielerreichung zu zeigen. Von bes. psychol. Bedeutung ist das subj. Innehaben von Kontrolle, ohne dass es dabei zur Kontrollausübung oder auch nur zur Zielbindung kommen muss. Individuen und Gruppen bilden subj. Repräsentationen von Kontrolle (Kontrollmeinung, Kontrollüberzeugung), die sich aus zielführenden Kontingenzen und Kompetenzen (Wirksamkeitsüberzeugung, Selbstwirksamkeitsüberzeugung) zus.setzt. Diese Kognitionen zur Einschätzung von Einflussmöglichkeiten in Bezug auf das Erreichen eines Zielzustands sind u. a. Gegenstand von Therapie- und Trainingskonzepten zur Verhaltensänderung. Reaktanz und sog. sekundäre Kontrollformen (bspw. prädiktive, interpretative, vikarisierende) werden obiger Taxonomie gemäß nicht mehr als eigentliche Formen von Kontrolle bez., sondern beschreiben Reaktionen – etwa als Folge von Kontrolleinschränkungen oder -verlust (bspw. im Sinne akkomodativer Bewältigung, Akkomodation).

Anwendungen von kontrollps. Konstrukten finden sich in den Bereichen der Motivationsps. (Initiation und Aufrechterhalten von zielbezogenen Handlungen; Anstrengung), der Päd. Ps. (Lernen, selbstgesteuertes; Gestaltung von Lernumgebungen), in der Arbeits- und Organisationsps. (Arbeitsmotivation und Arbeitsleistung), der Sozialps. (soziale Interaktion, Macht) in Gesundheitsps. (Kontrollüberzeugungen, gesundheitsbezogene) und Klin. Ps. (Behandlungsmotivation, Verhaltenstherapie). Große Verbreitung hat die persönlichkeitspsychol. Ausweitung des Ansatzes gefunden, und zwar auf der Grundlage von historisch bedeutsamen Ansätzen der sozialen Lerntheorie Rotters (Locus of Control) und Banduras (Wirksamkeitserleben, Selbstwirksamkeit) und auch auf handlungspsychol. Grundlage (bspw. Handlungstheoretisches Partialmodell der Persönlichkeit). I. Ggs. zu konkreten Kontrollerwartungen stellen situationsübergreifende Generalisierungen der indiv. Lerngeschichte eine persönlichkeitspsychol. Variable mittleren Abstraktionsniveaus dar, die sich zur Vorhersage von Verhalten in versch. Lebensbereichen oder als abhängige Variable stattgehabter Entwicklungsprozesse eignet. Je nach theoret. Hintergrund (Kontrolltheorien) unterscheiden sich die Messkonzeptionen. Eine alternsbezogene Ergänzung hat Kontrollpsychologie zuletzt aus der Lebensspannenpsychologie erfahren; Untersuchungsgegenstand ist hier die wahrgenommene Kontrolle über die eigene, zielgerichtete Entwicklung (Lebenslauftheorie der Kontrolle, Lebensbewältigung im Alter).

Referenzen und vertiefende Literatur

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