Life-Event-Forschung
[engl. life event research; life event Lebenereignis], [EW, GES, KLI], die Life-Event-Forschung beschäftigt sich mit der Frage, welche Auswirkungen kritische Lebensereignisse auf Entstehung und Verlauf psychischer Störungen haben. Life Events sind vom Alltag durch Merkmale zu unterscheiden, die Filipp (1995) aufgelistet hat: Es handelt sich um eine raum-zeitliche Verdichtung des Geschehens im Person-Interaktions-Gefüge. Daraus ergibt sich ein Ungleichgewicht im Passungsgefüge von Person und Umwelt, das Ereignis besitzt für die Person eine herausragende emot. Bedeutung. Kritische Life Events sollten von Traumata unterschieden werden: Traumata sind als Ereignisse zu sehen, die für das Individuum eine Bedrohung des Lebens oder der Integrität der Person bedeuten. Life Events lassen sich zudem nach versch. Gesichtspunkten klassifizieren, z. B. normativ (z. B. Hochzeit) vs. nicht normativ (Unfallgeschehen), erwünscht vs. unerwünscht, Verlustereignis vs. Zuwachsereignis, vorhersehbar vs. nicht vorhersehbar, kontrollierbar vs. nicht kontrollierbar, punktuell (z. B. Unfall) vs. andauernd (Haftstrafe), gravierende Bedrohung vs. Alltagswidrigkeit (daily hassles). Der systematische und wiss. Hintergrund der Life-Event-Forschung hängt mit versch. Disziplinen zus.: In bes. Weise betrifft dies die Stressforschung, aber auch die Entwicklungsps., die Persönlichkeitsps., die Epidemiologie und die Gesundheitsps. Stress besitzt vielfältige Auswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen (Hormone, Kognition, Verhalten). Dies zu beschreiben und zu erforschen ist Gegenstand der Life-Event-Forschung.
Die erste Aufgabe der Life-Event-Forschung besteht in der Identifikation von Life Events, d. h. in der Klärung der Frage, wann ein Ereignis für eine Person als kritisches Life Event anzusehen ist. Für diese Identifikation von Life Events gibt es folg. Möglichkeiten: Normalpersonen legen den Bedrohungsgrad eines Ereignisses fest, Personen einer klin. Stichprobe beurteilen den Bedrohungsgrad von Ereignissen, die sie i. d. R. auch selbst erlebt haben, der Bedrohungsgrad des Ereignisses wird i. R. eines Experteninterviews festgelegt, die Festlegung erfolgt auf der Grundlage theoretischer Überlegungen. Die Erfassung von Life Events erfolgt zumeist mittels Skalen (Ratingskala), in denen einzelne Ereignisse und ein entspr. Belastungsgrad angegeben sind (z. B. Social Readjustment Rating Scale (SRRS), Holmes & Rahe, 1967).
Die zweite wichtige Aufgabe beinhaltet die Analyse der Effekte von Life Events, dabei sind folg. Aspekte zu berücksichtigen: In der Versuchsplanung erfolgt die Effekt-Analyse retrospektiv, d. h., dass eine prospektive Planung eines echten Experimentes in der Life-Event-Forschung nicht möglich ist. Bei der Datenerhebung ist auf die Auswahl möglichst änderungssensitiver Items zu achten (Änderungssensitivität). In der Messung von Veränderungen (Veränderungsmessung, messtheoretische Aspekte) bildet die Zeit insofern einen Störfaktor, als Veränderungen im menschlichen Leben ggf. auch ohne ein spezif. Ereignis eintreten können. Korrelative Zus.hänge (Korrelationen) von Life Events mit psych. Störungen erlauben keine unmittelbare kausale Interpretation (Kausalität), weil mit einem Life Event i. d. R. eine Reihe anderer Einflussfaktoren (Konfundierung) eine Rolle spielen.
Die Life-Event-Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag für unser Verständnis der Entwicklung (psych.) Störungen geleistet, wobei jedoch insbes. folg. Probleme berücksichtigt werden müssen: (1) Grundsätzliche Probleme retrospektiver (retrosprektiv; Fall-Kontroll-Studie) Studien: Dies betrifft Person- und Kontextmerkmale, die bei der Effektanalyse nicht zu erfassen sind; (2) Effekte der Selektivität und Verzerrung der Erinnerung bei retrospektiven Studien; (3) Interaktion mit der Bewältigung des Ereignisses: Unklar ist bei retrospektiven Studien, worauf sich die Erinnerung bezieht, darüber hinaus gibt es kaum normative Kriterien für die Qualität von Bewältigung eines Ereignisses. (4) Ein bes. Problem bildet die Unspezifität der Life-Event-Forschung: Es bleibt demnach offen, welche Ereignisse zu welchen psych. Störungen führen. (5) Vielfach unberücksichtigt bleibt auch, ob nicht auch protektive Faktoren eine Rolle spielen, die das Auftreten einer Störung verhindern könnten.