Luftfahrtpsychologie
[engl. aviation psychology Flug- und Fliegerps.], der mit der Entwicklung der Luftfahrt einhergehende Zweig der Angewandten Ps. Hauptgebiete: Eignungsdiagnostik und Selektion (Eignung, Personalauswahl); psychophysische Belastungsreaktionen auf die bes. Arbeits- und Umgebungsbedingungen der Luftfahrt; Funktionen der Wahrnehmung, Raumorientierung und Informationsverarbeitung; Funktionsmodelle des «Reglers Mensch» in der Flugführung; Lernverhalten, -verfahren, -hilfen, Simulation; Unfallforschung; Humanfaktoren der Flugsicherheit; Anpassung der Systeme an den Menschen (Anthropotechnik, human engineering).
Als Schöpfer der Luftfahrtpsychologie kann Agostino Gemelli (1878–1959) bez. werden, der 1914 die Eignung zum Fliegen aus der Aufmerksamkeitsleistung (Aufmerksamkeit) zu erschließen suchte. Der Erste Weltkrieg förderte intensiv die Luftfahrtpsychologie, zuerst in Frankreich, wo 1915 die Ärzte Camus und Nepper über visuelle, akustische und taktile Reize die Reaktionszeiten ermittelten. Andersson folgte 1915 in England. Gleichzeitig begannen in Amerika Untersuchungen zur Unterscheidung von guten und schlechten Piloten im U.S. Army Air Corps (unter Beteiligung von E. L. Thorndike, G. M. Stratton, Henmon u. a.). In Dt. wurden Untersuchungen zur Fliegerauslese seit 1916 durchgeführt von W. Stern, W. Benary, E. Stern, A. Kronfeld, D. Katz, R. Sommer u. a. Einen Drehstuhl entwickelte E. Gade (Drehstuhlversuch).
Zw. den Weltkriegen erfolgten überall neue Testentwicklungen, mit denen die Luftfahrtpsychologie dem raschen Auftrieb der Luftfahrt zu folgen suchte. In dieser Periode haben in Dt. u. a. die Autoren S. J. Gerathewohl, A. Herlitzka, P. Metz, K. Kreipe, R. Skawran die Entwicklung gefördert. Der wehrpsychol. Dienst unterhielt in der Luftwaffe bis 1942 eigene Prüfstellen. In den USA wurde im Zweiten Weltkrieg für die Streitkräfte unter der Leitung von J. C. Flanagan und J. P. Guilford ein groß angelegtes Forschungs- und Prüfprogramm begonnen, das der Luftfahrtpsychologie entscheidende Impulse gegeben hat. Erst mit dem Wiederaufbau der Luftfahrt in der Bundesrepublik Dt. (1954) nahm erstmalig die Dt. Lufthansa einen psychol. Dienst für die Auslese des fliegenden Personals in Anspruch. Im Institut für Flugmed. der damaligen «Dt. Versuchsanstalt für Luftfahrt e.V.» (DVL) wurde in Hamburg eine Abt. Luftfahrtpsychologie gegründet. Die Dt. Bundeswehr hat mit der Wiedereinführung eines psychol. Dienstes seit 1959 eigene Prüf- und Forschungsstellen eingerichtet, u. a. die Abt. Flugps. des Flugmed. Instituts der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck. 1956 wurde in Scheveningen die «Westeuropäische Gesellschaft für Luftfahrtpsychologie» gegründet. Sie veröffentlicht Tagungsberichte und führt die europäische Bibliografie der Luftfahrtpsychologie. Seit ca. 1960 bemühen sich auch die dt. Luftfahrtindustrie und die flugtechnische Forschung, die Erkenntnisse der Luftfahrtpsychologie vor allem i. S. der «Anthropotechnik» zu verwerten. 1964 wurde in der «Dt. Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt e.V.» (DGLR) ein Fachausschuss und 1967 das «Forschungsinstitut für Anthropotechnik» (FAT) gegründet, jetzt in Werthoven. Die «Dt. Forschungs- und Versuchs-Anstalt für Luft- und Raumfahrt e.V.» (DFVLR) unterhält außer der Abt. Luftfahrtpsychologie im Institut für Flugmed. auch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe Anthropotechnik im Institut für Flugführung. Die Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) betreibt in ihrer Abteilung Anthropotechnik Entwicklungen zur Optimierung von Flugführungs- und Flugsicherungssystemen. Die Dt. Lufthansa (DLH) unterhält ein Referat Personal-Forschung und eine Abteilung Zentrales Training. Das Flugzeug wird als Arbeitsplatz mit bes. Anforderungen an die Arbeitsplatzinhaber bzgl. der psych. und physischen Voraussetzungen umfassenden Arbeitsanalysen unterzogen. Arbeitsbelastung, mentale Arbeitsbelastung, Situation Awareness.