Lurija, Alexander Romanowitsch

 

(1902–1977). [HIS, BIO, EW, KOG]. Alexander Romanowitsch Lurija (Transliteration: Lurija, Aleksandr Romanovič) war ein vielseitiger russischer Psychologe, der mit Alexei Nikolajevitsch Leontjew (1903–1979) und Lev Semjonowitsch Vygotskij (1896–1934) das «Dreigespann» der sog. kulturhistorischen Schule bildete. Lurija wurde 1902 in Kazan im Südosten Russlands als Sohn einer Arztfamilie geboren. Er studierte an der Universität seiner Geburtsstadt, befasste sich danach mit den Schriften verschiedener Psychologen und regte u. a. die Übersetzung einiger Schriften Sigmund Freuds ins Russische an. 1923 wurde Alexander Romanowitsch Lurija von Konstantin Nikolajewitsch Kornilow (1879–1957) nach Moskau geholt, wo er bald mit Leontjew und Vygotskij zusammenarbeitete (Métraux, 1993). Die kulturhistorische Schule setzte sich einerseits von einer elementaristischen Psychologie Wilhelm Wundts ab, andererseits auch von der verstehenden Psychologie (Verstehen, verstehende Psychologie). Ziel war die Verbindung des experimentellen und historischen Vorgehens.

Leontjew vertrat die Auffassung, dass man die gesamte Lebenstätigkeit des Menschen und die Entwicklung der Lebewesen berücksichtigen müsse, um menschliche Orientierungen zu verstehen. Stammesgeschichtlich frühe Lebewesen verfügten nur über einfache Mechanismen der Reizbarkeit (z. B. durch Licht). Hieraus habe sich die entsprechende Empfindung (hier für Helligkeit) entwickelt. Dies gelte auch für den Menschen: Frühe Formen des menschlichen Zusammenlebens, wie z. B. bei der Jagd, hätten die menschliche Wahrnehmung geprägt, Sprache habe sich durch den Zwang zur Abbildung von Sachverhalten herausgebildet. Auch heute noch seien Entwicklungsunterschiede manifest.

Konsequenterweise führten Alexander Romanowitsch Lurija und Mitarbeiter in den Jahren 1931 und 1932 Expeditionen nach Usbekistan und Kirgisien durch, um die psych. Fähigkeiten der (mutmaßlich) auf einer früheren soziokulturellen Entwicklungsstufe stehenden Menschen zu untersuchen. Expeditionen dieser Art waren in der Ps. neu. Alexander Romanowitsch Lurija unterhielt freundschaftliche Kontakte u. a. mit Wolfgang Köhler, Kurt Lewin und Jean Piaget. An der zweiten Expedition nahm der Gestaltpsychologe Kurt Koffka teil, der allerdings seine Teilnahme wegen Erkrankung abbrechen musste. Verwendet wurden Testbatterien, insbes. Verfahren zur Erfassung von Wahrnehmungsprozessen und logischem Denken.

Politische Veränderungen der Zeit veranlassten Alexander Romanowitsch Lurija, seine Stelle abzugeben und ein Medizinstudium aufzunehmen. Hiermit begann für ihn das zweite wissenschaftliche Wirkungsfeld, das später Neuropsychologie genannt wurde (Gebietsüberblick Biologische Psychologie und Neuropsychologie). Luria arbeitete zur Reedukation hirngeschädigter Kriegsverwundeter. In den 60er- und 70er-Jahren veröffentlichte er Schriften zu höheren kortikalen Funktionen, zur Theorie der dynamischen Lokalisation der Hirnfunktionen, zur Neurolinguistik und zur Bewusstseinsproblematik. Die Luria-Nebraska Neuropsychological Battery ist ein Testverfahren zur Ermittlung neuropsychol. Defekte. Entwickelt wurde es von Golden et al. (1981) auf der Grundlage der Befunde von Alexander Romanowitsch Lurija (Luria Neuropsychological Investigation). Alexander Romanowitsch Lurija fand internat. Anerkennung und erhielt Auszeichnungen. Er starb 1977 in Moskau.

Referenzen und vertiefende Literatur

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