Opfererfahrung, kriminelle

 

(k. O.) [engl. criminal victim(ization) experience; lat. crimen Verbrechen], [KLI, RF], die Untersuchung von Kriminalitätsopfern versucht zunächst häufig, etwas über Täter und Taten zu erfahren oder ein genaueres Lagebild der Kriminalität zu erhalten. So kann etwa das von der Polizei nicht registrierte «Dunkelfeld» der Kriminalität abgeschätzt werden, indem eine repräsentative Stichprobe von Personen dazu befragt wird, ob sie in einem def. Zeitraum Opfer k. Handlungen geworden sind und ob sie dies ggf. offiziell angezeigt haben. Jedoch werfen derartige Opferbefragungen eine Reihe von Problemen auf, die eine Interpretation derartiger Daten als «obj. Kriminalstatistik» (gegenüber anzeigeabhängigen offiziellen Statistiken) problematisch erscheinen lassen, z. B. die systematische Nichterfassung best. Gruppen (k. Milieus, Wirtschaftskriminalität) oder die Abhängigkeit der Ergebnisse von Erinnerungs- und anderen Verzerrungseffekten bei den Befragten (Erinnerung, Beobachtungsfehler).

Eine zweite traditionelle Richtung der Opferforschung ist es, durch differenziertere Beschreibungen («Wer wird wann Opfer welcher Tat und welchen Täters?») indiv. O. anhand von Merkmalen der Opfer vorhersagen und womöglich verhindern zu können. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass das Opfer in einem variierenden Ausmaß am Geschehen beteiligt ist. Allerdings ist hier die Gefahr zu beachten, dass die Fokussierung der kausalen Beteiligung des Opfers eine Attitüde stützen kann, die dem Opfer über die kausale Beteiligung hinaus auch einen Teil der moralischen Schuld zuschreibt. Bspw. haben Vergewaltigungsopfer (Vergewaltigung) vielfach unter derartigen Mitschuldmythen zu leiden, die neben und nach der unmittelbaren O. eine sekundäre Viktimisierung (Viktimisierung, sekundäre) bedeuten können. V. a. aber erscheint es wegen eines in fast allen Fällen k. O. unauflösbaren Zufallsmomentes zweifelhaft, ob sich eine kohärente Theorie einer Opferpersönlichkeit formulieren lassen wird, die über eine Beschreibung von stat. Risikomarkern hinausreicht. Weiterführend, auch in praktischer Hinsicht, sind daher ps. Untersuchungen, in denen die soziale Interaktion im Vorfeld konkreter O. bspw. daraufhin untersucht wird, welche Kommunikationsprobleme die Eskalation begünstigt haben.

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt psychol. Opferforschung liegt auf den Folgen von O., in jüngerer Zeit v. a. im Hinblick auf posttraumatische Belastungsreaktionen (Posttraumatische Belastungsstörung). Obwohl Ausmaß und Intensität interindiv. teilweise deutlich variieren, findet sich regelmäßig, dass insbes. bei gravierenden Erfahrungen viele Symptome nachhaltig auftreten (bspw. erhebliche ÄngsteDepressivität und Misstrauen bei Vergewaltigung). Häufig wird diese Opferforschung unter delikt- bzw. zielgruppenspezif. Perspektive unternommen; so gibt es umfangreichere Studien etwa zum Bereich der (sexuellen) Gewalt gegen Frauen, gegen Kinder oder gegen Ältere (sexueller Missbrauch). In diesem Zus.hang verweist eine Vielzahl von Befunden auf die Schlüsselrolle von Prozessen der subj. Verarbeitung von persönlich erfahrener Kriminalität. Dies führt zu der v. a. praktisch bedeutsamen Frage danach, mithilfe welcher Strategien und Mechanismen es Individuen gelingt, die Folgen einer O. zu bewältigen. Tatsächlich zeigt sich, dass sogar bei gravierenderen Ereignissen viele Personen nicht dauerhaft belastet bleiben. Die psychol. Forschung zur sog. Resilienz hat versch. belegt, dass in der Mehrzahl der Fälle sogar bei auf den ersten Blick dramatischen Erfahrungen die erwartbaren oder plausiblen Traumatisierungen (Trauma) nicht aufzutreten scheinen. Die aussichtsreiche Perspektive besteht hier insbes. darin, die Dynamiken der längerfristigen Bewältigung (Coping) auch schwerwiegender Erfahrungen besser zu verstehen und so wirksame Interventionsangebote zu fördern.

Referenzen und vertiefende Literatur

Die Literaturverweise stehen Ihnen nur mit der Premium-Version zur Verfügung.