parental alienation syndrome
[engl.] Eltern-Entfremdungs-Syndrom o. Eltern-Kind-Entfremdung (EKE), [RF], der vom US-amerik. Kinderpsychiater Gardner 1985 geprägte Begriff parental alienation syndrome (auch PAS) (Gardner, 2002) beschreibt die massive Manipulation oder «Programmierung» eines Kindes durch einen Elternteil mit der Folge der Entfremdung des Kindes vom anderen Elternteil, den das Kind heftig neg. bewertet und mit obj. nicht begründbarer Feindseligkeit ablehnt. Sowohl das manipulierende Verhalten eines Elternteils als auch das nachfolgende polarisierende Verhalten des Kindes bilden das Syndrom. Die Phänomenologie des kindlichen Verhaltens hat Gardner mit acht Kardinalsymptomen beschrieben: (1) Herabsetzungskampagnen, d. h., der abgelehnte Elternteil wird als bösartig, hinterhältig oder gefährlich verunglimpft. (2) Absurde Rationalisierungen der Vorwürfe, z. B. ist der Vater böse, denn er hat schon früher der Mutter nicht die Tasche getragen. Oder ein Kind kolportiert: «Wir müssen uns einen neuen Papa suchen, der nicht raucht. Das macht krank.» (3) Fehlende Ambivalenz, d. h., es gibt keine Zwischentöne. Alles Gute liegt beim betreuenden Elternteil. Angenehme Erinnerungen an den anderen Elternteil werden nicht zugelassen. (4) Die Betonung der eigenen Meinung wird eingesetzt, um sich selbst und andere zu überzeugen, und sei es, indem stereotyp hinzugefügt wird: «Ich weiß es genau.» (5) Die reflexartige, ungeprüfte Parteinahme für den betreuenden Elternteil: «Mama hat sich schon früher mehr um mich gekümmert, und bei Papa gibts nur Tütensuppen.» (6) Ausdehnung der Feindseligkeit auf Angehörige des abgelehnten Elternteils, d. h., dessen Mutter oder neue Freundin wird auch verunglimpft. (7) Fehlende Schuldgefühle, d. h., die eigene Feindseligkeit wird gerechtfertigt und schließt nicht aus, dass Geschenke oder Geld gefordert und ihr Ausbleiben heftig beklagt werden. (8) «Geborgte Szenarien» sind Redewendungen, die von der manipulierenden Person übernommen werden, ohne verstanden worden zu sein (z. B. sagt eine Vierjährige: «Wir halten das nicht mehr aus», kann aber nicht sagen, was). Das Konzept hat in vielen Ländern, auch in Dt., zu lebhaften Auseinandersetzungen zw. Befürwortern und Gegnern auch unter psychol. Sachverständigen in Familiensachen geführt. In den USA wird das Konzept weder von der American Psychiatric Association noch von der American Psychological Association (APA) oder der American Medical Association befürwortet.
Trotz nachhaltiger Bemühungen der Anhänger ist das parental alienation syndrome bisher weder im DSM-IV noch in der ICD-10 der WHO (Klassifikation psychischer Störungen) als Störung klassifiziert worden. Obere Rechtsprechungsebenen versch. Länder lehnen das Konzept ausdrücklich ab (z. B. United States National Council of Juvenile and Family Court Judges; Beweisverbot durch den Court of Appeal, England und Wales, ebenso durch das kanadische Justizministerium). Als Vorteil des Konzepts kann gesehen werden, dass exzessive Konflikte im Trennungsverlauf und deren Folgen für das Kind nuanciert beschrieben werden. Hauptkritikpunkte sind (Bond, 2008, Bruch, 2002, Emery, 2005, Salzgeber, 2011): (1) Vor allem wird ein deutlicher Widerspruch bemängelt zw. der ungenügenden theoretischen und empirischen Fundierung des Ansatzes und den pauschalisierenden und hochgesteckten Ansprüchen in Diagnostik und Intervention z. B. in der Unterscheidung dreier Schweregrade auf der Grundlage divergenter, letztlich unbrauchbarer Häufigkeitsschätzungen und deren willkürlicher Verknüpfung mit therapeutischen und rechtlichen Interventionen. Die US-amerik. Autorin Bruch (2002) spricht deshalb von einem «PAS-Debakel». (2) Der Vorwurf der Pseudowissenschaft mit Hinweis auf den Mangel an neutraler Forschung, Replikationsuntersuchungen, Falsifizierbarkeit und unabhängigen Veröffentlichungen. (3) Gefahr der Etikettierung beteiligter Erwachsener als erziehungsungeeignet (Erziehung). (4) Pathologisierung des entfremdenden Elternteils mit Bezug darauf, dass Gardner (2002) häufig Worte wie «paranoid» und «Psychopath» benutzt. (5) Ungenügende Berücksichtigung des Prozesscharakters familiären Konfliktgeschehens. (6) Entwertung bzw. Pathologisierung des Kindeswillens. (7) Fragwürdige Interventionsempfehlungen, die selbst eine Kindeswohlgefährdung darstellen können und teilweise als exzessive Strafmaßnahmen gegen das Kind und den betreuenden Elternteil erscheinen, so die strikt gerichtlich angeordnete Übergabe des Kindes an den entfremdeten Elternteil. (8) Zweifel am Neuheitsanspruch, da das parental alienation syndrome lediglich ein Extremstadium des altbekannten Dilemmas von Kindern im elterlichen Trennungsprozess beschreibt, das bisher als Ggs. von Überidentifizierung mit einem und Überdistanzierung vom anderen Elternteil figurierte – deshalb untauglicher Versuch, die komplizierte Psychodynamik in Trennungsprozessen mit attraktiv anmutenden, aber pseudowiss. Ansätzen zu erklären. (9) Außerdem ist das parental alienation syndrome zum Werkzeug von Interessengruppen geworden. Väterrechtsgruppen erklären damit pauschal die Abneigung eines Kindes und weisen dem betreuenden Elternteil die alleinige Schuld zu. Frauengruppen werfen Vätern vor, legitime Bedenken hinsichtlich Kindesmissbrauchs zu diskreditieren. [www.parentalalienation.org]