Persönlichkeitstheorien, humanistische
[engl. humanistic personality theories; lat. humanus menschlich], [PER], die humanistischen Persönlichkeitstheorien entstanden ab 1950 als Reaktion auf die damals vorherrschenden psychoanalytischen und lerntheoretischen Theorien der Persönlichkeit (Persönlichkeitstheorien, psychoanalytische, Persönlichkeitstheorien, lerntheoretische Ansätze). Sie wandten sich einerseits gegen die Überbetonung der irrationalen und neg. Aspekte des Charakters in der Psychoanalyse, andererseits gegen die Annahme der klassischen Lerntheorien, dass die Persönlichkeit durch die Lernumwelt determiniert sei. Als dritte Kraft betonen die humanistischen Persönlichkeitstheorien dagegen das Potenzial von Menschen für pos. Wachstum und Gesundheit im psych. wie auch im physischen Bereich. Begründer waren Maslow und Rogers; heute findet sich dieser Ansatz v. a. in der Positiven Psychologie.
Im Rahmen seiner Motivationsps. unterschied Maslow 1955 fünf Gruppen von Bedürfnissen (Bedürfnishierarchie), von denen vier Mangelbedürfnisse seien, die dazu dienten, Mangelzustände (z. B. Hunger) zu befriedigen. Als letzte im Verlauf der indiv. Entwicklung entstünden die Wachstumsbedürfnisse, v. a. das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Sie bestimmten das Verhalten dauerhafter, weil sie sich nie ganz befriedigen ließen. Diese Theorie wurde nie empirisch geprüft, war jedoch sehr einflussreich. Sie ist charakteristisch für individualistische Kulturen (Idiozentrismus-Allozentrismus) wie die USA, in denen die Selbstverwirklichung des Individuums im Zentrum steht, nicht das Wohlergehen der sozialen Gruppe, in dem es sich befindet.
Rogers, der Begründer der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, griff diesen Ansatz 1959 auf. Statt von Motiven sprach er von Aktualisierungstendenzen und statt von Selbstverwirklichung von der Selbstaktualisierungstendenz, die dafür sorge, dass pos. Selbsterfahrungen gesucht und neg. gemieden würden. Dadurch werde ein pos. Selbstkonzept aufrechterhalten und das Potenzial zur Selbstverwirklichung immer weiter auszuschöpfen versucht. Im Verlauf dieses Prozesses würden zwei zentrale Bedürfnisse erfahrungsabhängig erworben: das Bedürfnis nach pos. Wertschätzung durch andere und das Bedürfnis nach pos. Selbstachtung. Neben dem Selbstkonzept in Form des Real-Selbst (der subj. Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit) entwickle sich auch das Ideal-Selbst (die erwünschte eigene Persönlichkeit). Zur Erfassung beider Selbst-Formen benutzte Rogers die 1953 von Stephenson eingeführte Q-Sort-Technik (Q-Sortierung), bei der vorgegebene Eigenschaften danach sortiert werden, wie gut sie das Real- bzw. Ideal-Selbst beschreiben. Die Korrelation von Real- und Ideal-Q-Sort beschreibt dann das Ausmaß der indiv. Kongruenz von Real- und Ideal-Selbst; eine hohe Kongruenz sei ein Indikator psych. Gesundheit.
Die Positive Ps. (Seligman & Csikszentmihalyi, 2000) kann als Appell verstanden werden, sich in der empirischen Ps. verstärkt Merkmalen zuzuwenden, die psych. Wohlbefinden und eine «reife» Form der Verarbeitung von Stress und Krisen charakterisieren, z. B. Optimismus, Humor, Weisheit, Bereitschaft zu verzeihen und Religiosität/Spiritualität/Achtsamkeit. Damit steht sie in der Tradition von Maslow und Rogers, ohne eine eigene spezif. Persönlichkeitstheorie zu entwickeln (die ja bei einseitiger Betonung der pos. Aspekte ebenso verzerrt wäre wie der gegenwärtige Mainstream mit seiner Betonung neg. Merkmale, nur auf andere Weise). Problematisch ist die Tendenz mancher Vertreter der Positiven Ps., von ihr als pos. angesehene Persönlichkeitsmerkmale als generell erstrebenswert für die Gesellschaft zu werten. Mit derartigen Wertungen verlässt die Positive Ps. die Wiss. und wird zur Ideologie.