Persönlichkeitstheorien, lerntheoretische Ansätze
[engl. personality theories, learning theory approaches], [KOG, PER], lerntheoretische Ansätze im Rahmen von Persönlichkeitstheorien betonen die Bedeutung des Lernens für ein adäquates Verständnis von Persönlichkeit: Persönlichkeit wird konstruiert als etwas, das sich unter wesentlicher Beteiligung von Lernprozessen bildet, gemäß den Prinzipien des Lernens aufrechterhalten wird und sich unter gezielter Nutzung dieser Prinzipien verändern lässt. Unterschiede zw. den lerntheoretischen Ansätzen betreffen v. a. Auffassungen darüber, welche Lernprozesse anzunehmen sind, wie sich diese Lernprozesse im Einzelnen vollziehen und mit welchen Begrifflichkeiten Persönlichkeit angemessen zu beschreiben ist. Zentrale lerntheoretische Ansätze sind die Ansätze von Julian B. Rotter, Albert Bandura und Walter Mischel (Westmeyer, 2005).
Für Rotter ist Persönlichkeit ein «Gefüge von Möglichkeiten zur Reaktion in best. sozialen Situationen». Die Untersuchungseinheit der Persönlichkeitsforschung ist die Interaktion zw. der Person und ihrer bedeutungshaltigen Umwelt. Im Mittelpunkt steht das gelernte zielgerichtete Verhalten. Jedes in einer Situation infrage kommende Verhalten besitzt ein best. Verhaltenspotenzial (VP). Aller Voraussicht nach wird das Verhalten mit dem größten VP in der Situation auftreten. Das VP ergibt sich aus der Kombination der Variablen Erwartung und Verstärkungswert. Erwartungen sind das Resultat von Lernprozessen und können quantifiziert werden. Die (psych.) Situation wird als ein komplexes Muster von Hinweisreizen konstruiert. Der in diesen Annahmen enthaltene spezif. Erwartungsbegriff wird von Rotter zum Begriff der generalisierten Erwartung, der sich auf funktional zus.gehörige Klassen von Verhaltensweisen, Situationen und Verstärkungsbedingungen bezieht, erweitert. Mit zwei generalisierten Erwartungen hat sich Rotter in seinen empirischen Arbeiten näher beschäftigt: internale vs. externale Kontrolle der Verstärkung und zw.menschliches Vertrauen.
Bandura bez. seinen Ansatz als soziale Lerntheorie, später als sozial-kogn. Theorie. Seine Kernannahme: Menschliches Verhalten, kogn. und andere Person-Faktoren und Umwelteinflüsse bedingen sich wechselseitig i. R. einer kontinuierlichen triadischen reziproken Interaktion. Für Bandura sind fünf Vermögen (engl. capabilities) für den Menschen kennzeichnend: (1) das Vermögen zu symbolisieren (z. B. etwas in Sprache zu fassen und auszudrücken), (2) das Vermögen vorauszudenken (z. B. Ereignisse zu antizipieren, etwas zu erwarten), (3) das Vermögen, stellvertretende Erfahrungen zu machen (z. B. aus der Beobachtung des Verhaltens einer anderen Person zu lernen; Beobachtungslernen), (4) das Vermögen, sich selbst zu regulieren (z. B. das eigene Verhalten zu kontrollieren und zu verstärken), (5) das Vermögen, über sich selbst nachzudenken. Dem Vermögen, stellvertretende Erfahrungen zu machen, liegt ein eigenständiger Lernprozess zugrunde, den Bandura über die bis dahin in den Lerntheorien bekannten Prozesse der respondenten (Konditionierung, klassische) und operanten (instrumentellen) Konditionierung (Konditionierung, operante) hinaus postuliert und in seinen Teilprozessen intensiv untersucht hat: das Beobachtungs- bzw. Modellernen. Dem bereits von Rotter eingeführten Begriff der Ergebniserwartung stellt Bandura den Begriff der Selbstwirksamkeitserwartung an die Seite.
Mischels integrativer Ansatz (Mischel et al., 2004) baut auf den Ansätzen von Rotter und Bandura auf und bezieht auch den Ansatz von George A. Kelly (Theorie der persönlichen Konstrukte) mit ein. Er rekonstruiert Persönlichkeit als ein kogn.-affektives Verarbeitungssystem, in das fünf zentrale Personvariablen eingehen: Enkodierungen (Enkodierprozesse), Erwartung und Überzeugung, Affekt, Ziele und Werte, Kompetenzen und selbstregulatorische Pläne (Selbstregulation). Diese Personvariablen interagieren untereinander und vermitteln zw. situativen Bedingungen und Verhalten. Sie haben einen dynamischen und einen strukturellen Aspekt und sind nicht als Persönlichkeitseigenschaften (Persönlichkeitsmerkmal) im Sinne von traits zu verstehen.