Raum

 

[engl. space], [KOG, WA], wahrgenommene, vorgestellte, begrifflich erfasste oder kogn. prozesshaft repräsentierte Abstandsrelationen bzw. Lagerelation zw. Grenzen, Oberflächen von natürlichen und gemachten Dingen oder Lebewesen (vgl. aber Ganzfeld). Im Raum sind die Ressourcen lokalisiert, derer Lebewesen zum Leben bedürfen. Raum umgreift Lebewesen und ermöglicht ihnen Bewegung (Stellung, Lokomotion, Manipulation und Transformation von Objekten). Regionen im Raum, Plätze, können bewertet, emot. oder symbolisch belegt sein. In diesem Raum ist Orientierung (Raumorientierung) nötig. Die unterschiedlichen Orientierungsformen werden von unterschiedlichen sensomotorischen, kogn. Systemen geleistet, z. B. Gleichgewichtssinn. Ohr, räumliches Sehen, räumliches Hören, Tastraum, Greifraum, sensomotorisch(e) (Koordination), kognitive Karte. Der Ausbreitung von Signalen im Raum dienen versch. Medien, z. B. Licht/Sehen, Luft/Hören. Taktil orientiert sich ein Lebewesen über den direkten Kontakt (Kinästhesie) mit den Oberflächen. Bewegungen, die von Organismen ausgeführt werden, sind durch die Schwerkraft eingeschränkt. Der erlebte Raum ist dem Individuum mit vielen Verhaltens- und Erlebnismerkmalen gegeben (z. B. voll – leer, eng – weit, nah – fern, bedrohlich – vertraut, ruhig – lärmig, gedämpft – hallig). Die Wahrnehmung, das Erleben des eigenen Körpers und die funktionale, räumlich-metrische Körperlichkeit (z. B. Größe der Hand als Bedingung für Greifarten zu Objekten), fallen unter die Konzeptfamilie Körperschema, Körperbild.

Unterschiedliche Teildisziplinen der Ps. untersuchen mit unterschiedlichen Herangehensweisen Aspekte von Raum bzw. räumlichem und raumbezogenem Verhalten und Erleben  (Raumkognition, Raumrepräsentation). Die Entwicklungspsychologie erforscht z. B. die Entwicklung von Raumwahrnehmung und zugeordneter Bewegung (Tiefenwahrnehmung, Entwicklung, Greifreflex), von Raumkonzepten (Piaget). In der Allgemeinen Ps. werden sensomotorische Vorgänge (s. o.) und kogn. raumbezogene Leistungen (z. B. räumliches Vorstellen, affordance, Anisotropie, Tiefenlokalisation; Bedeutung und Gebrauch von räumlichen Begriffen wie z. B. vorne – hinten, oben – unten, rechts – links) untersucht; in der Neurops. widmet man sich zentralnervösen Vorgängen/Ausfällen, die an Raumwahrnehmung, Bewegung und Raumvorstellung beteiligt sind (z. B. Neglect, das Ausfallen eines Teils des Sehfeldes aus der Beachtung, der Wahrnehmung). In der Differentiellen Ps. werden u. a. Intelligenzfaktoren untersucht, die mit raumbezogenen Leistungen kovariieren. In der Sozialps. und/oder Ökologischen Ps. werden u. a. Formen der interpersonalen Abstandsregulation und ressourcenbezogenen Raumplanung, Raumnutzung, Raumgestaltung und des Raumbedarfs behandelt (persönlicher Raum, Grenzkontrolle, Proxemik, Privatheit, crowding, Territorialverhalten, kognitive Karte, behavior setting, Habitat). Raumdarstellung (Perspektive, Perspektiventäuschung, geometrisch-optische Täuschung) und Raumsymbolik werden u. a. in der Kunstps. behandelt.

Aspekten virtueller Räume wird zunehmend Beachtung geschenkt, z. B., welchen Realitätsgrad können sie einnehmen, welche spez. Gestaltungsprobleme werfen «in» virtuellen Räumen stattfindende Verhaltensweisen wie z. B. Interaktionen auf Videokonferenzen auf. Raum wird als Ordnungskonzept für Relationen zw. Variablen benutzt, z. B. Problemraum, Handlungsraum (Relation der Zustände und Operatoren, die eine Aufgabe durchläuft, wenn ein Lösungsweg gesucht bzw. verfügbar ist), Farbraum, Urfarbenkreis. Raum wird meth. als math. abstrakte Relation von Dimensionen aufgefasst, auf denen Variablenausprägungen metrisch darstellbar sind, z. B. Farbenanalyse, Farboktaeder, mehrdimensionale Skalierung; semantischer Raum (semantisches Differenzial, Kovariationsschema). Raum ist auch in anderen Wiss., die die Ps. beeinflussen, ein z. T. zentrales Konzept wie z. B. in der Geometrie (Spezialfall: Euklidischer Raum) oder der Physik und Philosophie (Raum/Zeit als Grundkategorie). Architektur kann als Gestaltungswiss. von Wohnraumgelegenheiten aufgefasst werden. Aus der Ethnologie (Proxemik) und Ethologie (Territorialität, Habitat, Ökologie, Ökosystem) wurden in die Ps. versch. Konzepte entlehnt, wobei sie z. T. einem deutlichen Bedeutungswandel unterliegen.

Referenzen und vertiefende Literatur

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