Risikoverhalten

 

[engl. risk behavior], [EM, KOG], bezeichnet Verhalten in Risikosituationen. Risikosituationen können dadurch gekennzeichnet werden, dass (1) in einer best. Ausgangslage versch. Handlungsalternativen mit entspr. Handlungszielen gewählt werden können und dass (2) das Nichterreichen des gewählten Handlungsziels zu einem Zustand führt, der subj. unerwünschter ist als die Ausgangslage. Risiko bedeutet dabei den wahrscheinlichen Anteil subj. neg. gewichteter Handlungsausgänge (bezogen auf die Ausgangslage) an allen möglichen Handlungsausgängen. Risikoverhalten als bes. Fall von Entscheidungsverhalten (Entscheiden unter Risiko) in Ungewissheitssituationen wurde zunächst überwiegend von Ökonomen und Mathematikern i. R. der Entscheidungs- und Spieltheorie untersucht. Dabei ging es v. a. um die «optimale» Entscheidung, die nach dem Grundsatz des max. Nutzen ermittelt werden sollte (Bernoulli, 1738). Mit fortschreitender Entwicklung dieser Forschungsrichtung fanden subj. Momente der Entscheidungskriterien zunehmende Beachtung, so etwa im Modell der max. subj. Nutzenerwartung (SEU = subjectively expected utility, Savage, 1954), bei dem nicht mehr eine überindiv., «objektive» Ereigniswahrscheinlichkeit im Vordergrund steht.

Entscheidungs- und spieltheoret. Analysen des Risikoverhaltens erscheinen unter einem psychol. Gesichtspunkt nicht genügend repräsentativ für ein Verhalten in Risikosituationen, da sie sich meist auf Situationen beschränken, in denen dem Entscheidenden die Ereigniswahrscheinlichkeiten bekannt sind (z. B. Glücksspiele und Wetten). Demgegenüber zeichnen sich folg. Schwerpunkte in der Entwicklung der psychol. Erforschung des Risikoverhaltens ab: (1) Untersuchungen des Risikoverhaltens in Situationen mit Verlustmöglichkeiten, deren Wahrscheinlichkeiten dem Entscheidenden nicht oder nur teilweise bekannt sind und bei denen die Handlungsausgänge sowohl von außerindiv. Verhaltensbedingungen als auch vom indiv. Verhalten abhängen. (2) Bevorzugte Verwendung stochastischer Entscheidungsmodelle, bei denen Sachverhalte wie Inkonsistenz (unterschiedliche Entscheidungen bei gleichem Entscheidenden, gleichen Handlungsalternativen und gleichen Entscheidungsbedingungen) und Intransitivität der Alternativbevorzugung (A wird B, B wird C, C wird A vorgezogen) mehr berücksichtigt werden als in deterministischen Entscheidungsmodellen, wo die Alternativenwahl durch den größten subj. erwarteten Nutzen bestimmt wird. (3) Stärkere Einbeziehung feldtheoretischer Interpretationsmöglichkeiten, aus denen sich (im Ggs. zum SEU-Modell) eine Wechselbeziehung zw. subj. Nutzen und subj. Wahrscheinlichkeit ergibt (u. a. Lewin et al., 1944, Irwin, 1953). (4) Bevorzugung deskriptiver Zielsetzung (Beschreibung des Verhaltens in Risikosituationen) gegenüber normativen Zielsetzungen (Wie soll sich das Individuum in Risikosituationen verhalten?) und damit Betonung persönlichkeits- bzw. differenziell-psychol. (Kogan, Wallach, 1964) und sozialpsychol. Gesichtspunkte (z. B. das exp. und theoretisch noch umstrittene Risky-Shift-Phänomen (Risikoschub-Effekt), wonach Individuen in der Gruppe zu riskanteren Entscheidungen neigen als allein; Kogan, 1967). (5) Untersuchung der Beziehungen zw. Risikoverhalten und Leistungsmotivation (insbes. Anspruchsniveau), wobei von Wechselwirkungen zwischen Erfolgs- und Misserfolgsmotivation (Hoffnung auf Erfolg, Furcht vor Misserfolg), subj. Erfolgswahrscheinlichkeit und Aufgabenanreiz (Anreiz) (Atkinson, 1957) ausgegangen wird. (6) Betonung des zeitlichen Verlaufs des Risikoverhaltens als Konfliktverhalten (Konflikt, sozialer) bei gegensätzlichen Leistungs- und Sicherheitstendenzen, die bis zum Entscheidungszeitpunkt beide maximiert und erst dann gewählt werden (Klebelsberg, 1969) und/oder als informationsverarbeitendes Verhalten (Informationsverarbeitung) in Form sequenziellen Vergleichens von vier Risikodimensionen (Gewinn- und Verlustwahrscheinlichkeit, Gewinn- und Verlusthöhe; Carrol & Payne, 1976).

Zugrunde gelegte Risikobegriffe, gewählte Risikosituationen und Untersuchungsmethoden sind möglicherweise Ursachen für die sehr unterschiedlichen Ergebnisse in der bisherigen psychol. Forschung und für das Fehlen einer einheitlichen Theorie des Risikoverhaltens. Die vorläufigen Ergebnisse weisen auf eine überwiegend situative und weniger indiv. Bedingtheit unterschiedlichen Risikoverhaltens hin.

Referenzen und vertiefende Literatur

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