Schuld, strafrechtliche
[engl. culpability], [RF], die strafrechtliche
Schuld beschreibt im dt. Strafrecht die persönliche Vorwerfbarkeit eines verwirklichten Unrechts gegenüber dem Täter. Sie ist sowohl die Basis für die Begründung („keine Strafe ohne Schuld“) als auch für die Zumessung der Strafe. Ferner handelt es sich um ein indiv. Merkmal; jeder Beteiligte (Täter und Teilnehmer) wird nach seiner eigenen strafrechtlichen
Schuld ohne Berücksichtigung der strafrechtlichen
Schuld anderer Beteiligter bestraft. In Dt. existiert also gegenwärtig ein Schuldstrafrecht, das – anders als in der Vergangenheit – die Strafe nicht (unmittelbar) an die verwirklichte Tat (Tatstrafrecht), die Geisteshaltung (Gesinnungsstrafrecht) oder gar eine Tätertypologie (Täter-/Typenstrafrecht) anknüpft.
Bei der strafrechtlichen Betrachtung müssen somit der Bereich des Unrechts und derjenige der strafrechtlichen
Schuld getrennt betrachtet werden, wobei grundsätzlich das durch einen Tatbeteiligten verwirklichte Unrecht eine Indizwirkung bzgl. seiner strafrechtlichen
Schuld hat. Unrecht beschreibt sowohl obj. als auch subj. die Diskordanz zw. der strafbaren Handlung (Tun oder Unterlassen) und der Rechtsordnung, wohingegen strafrechtliche
Schuld allein subj. Natur ist und den persönlichen Vorwurf mangelnder Rechtstreue ausdrückt. So kann bspw. – je nach den konkreten Umständen – die durch einen Totschlag verwirklichte strafrechtliche
Schuld geringer sein als diejenige bei einer Beleidigung, obgleich der Unrechtsgehalt eines Tötungsdelikts deutlich höher liegt als derjenige einer Ehrverletzung.
Der strafrechtliche
Schuld-Begriff ist weder im StGB noch im Grundgesetz pos. def., sodass er sich anhand (wandelnder) Gesetzesauslegung durch Lehre und Rechtsprechung ergibt. So herrschte zu Beginn des 20. Jhd. der sog. psychol. strafrechtliche
Schuld-Begriff, der sämtliche Elemente des inneren Tätererlebens umfasste, insbes. auch diejenigen bzgl. des Wissens und Wollens einer Tatbestandverwirklichung (heute: sog. subj. Tatbestand). Die gegenwärtige Lehre vom normativen strafrechtliche
Schuld-Begriff dagegen sieht den subj. Tatbestand (Vorsatz und Fahrlässigkeit) primär als wesentliches Element des Unrechts und nicht der strafrechtlichen
Schuld an; dennoch werden Vorsatzbegriffe wie Absicht im Laiensprachgebrauch häufig mit der strafrechtlichen
Schuld verwechselt. Obgleich i. R. des normativen strafrechtlichen
Schuld-Begriffs unterschiedliche Ansichten dazu vertreten werden, worauf die Vorwerfbarkeit des Verhaltens beruht (Schiemann, 2012), ist allen Ansichten gleich, dass Fragen um die Willensfreiheit hierbei keine Rolle spielen, da der Vorwurf an den Einzelnen nicht davon abhängt, ob alle Menschen einen freien Willen haben oder nicht.
Aus den §§ 35, 17 und 20 StGB lassen sich an die schuldhaft begangene Tat folg. aufeinander aufbauende Anforderungen ableiten: (1) Das Zurückbleiben hinter der Reaktionsweise eines «Durchschnittsmenschen», (2) die Unrechtseinsicht oder die Vorwerfbarkeit fehlender Unrechtseinsicht und (3) die Fähigkeit, gemäß der Unrechtseinsicht zu handeln (Steuerungsfähigkeit), bzw. deren vorwerfbares Fehlen. Der strafrechtliche
Schuld-Vorwurf beinhaltet also, dass der Täter – entgegen der Erkenntnis, gegen verbindliches Recht zu verstoßen, und der erhaltenen psych. Befähigung, sich rechtmäßig zu verhalten – mit seiner Handlung derart von der Rechtsnorm abgewichen ist, wie es ein rechtschaffener Mensch an seiner Stelle nicht getan hätte; bzw., «daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl […] er sich für das Recht hätte entscheiden können» (BGHSt 2, 194).
Hieran lassen sich zwei weitere wesentliche Aspekte des Schuldstrafrechts erkennen: Zum einen die Rolle sog. Entschuldigungsgründe und zum anderen die Notwendigkeit eines fragmentarischen Charakters des Strafrechts. Entschuldigungsgründe liegen dann vor, wenn der Täter sich in einer Extremsituation befindet, in der ihm das normgerechte Verhalten nicht zuzumuten ist, bzw. in der seine rechtswidrige Handlung nicht signifikant von der Norm abweicht (d. h., in dieser Situation hätten wahrscheinlich zahlreiche oder gar fast alle andere ebenso gehandelt). Unter den Voraussetzungen einer solchen Sachlage mindert sich der strafrechtliche
Schuld-Vorwurf an den Täter derart, dass er als nicht existent angesehen werden kann. Bsp. sind der entschuldigende Notstand, der übergesetzliche Notstand, die Notwehrüberschreitung oder der Nötigungsnotstand. Der verfassungmäßig gebotene fragmentarische Charakter des Strafrechts ergibt sich hieraus im Umkehrschluss: Ein von der Rechtsordnung abweichendes Verhalten (trotz Unrechtseinsicht und Steuerungsfähigkeit) alleine kann nicht ausreichen, das «scharfe Schwert des Staates» i. S. einer Strafverhängung zu ziehen, da ansonsten Strafverfahren bei jeglicher «unbilligen» Handlung vonnöten wären. Es müssen also i. R. gesetzgeberischer Tätigkeit Erheblichkeitsschwellen bei der Entwicklung von Strafnormen beachtet werden, und die Existenz von Strafbarkeitslücken ist somit nicht zwingend gesetzgeberischer Fehler, sondern grundsätzlich verfassungsmäßiges Gebot.
Obgleich die strafrechtliche
Schuld in Form der verhängten Strafe operationalisiert (Operationalisierung) wird, ist die Korrelation nicht perfekt. Deutlich wird dies bspw. bei dem Deckeneffekt im Falle einer absoluten Strafandrohung, da bei zwingender Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe eine Gradation des Tätervorwurfes nicht mehr möglich ist; insbes. bei Verurteilung wegen Mordes: So ist die Strafe bspw. bei demjenigen, der sein Opfer einvernehmlich zur Befriedigung des Geschlechtstriebes tötet, grundsätzlich dieselbe wie bei demjenigen, der aus demselben Grunde mehrere Kinder tötet. Deliktshaftung, Schuldfähigkeit, Verantwortungsreife, strafrechtliche.