Sucht- und Substanzbezogene Störungen, Psychotherapie
[engl. substance-related disorders,psychotherapy], [KLI], die Therapie Sucht- und substanzbezogener Störungen kann zwei prinzipiell unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen, die zugleich zwei konkurrierende Behandlungsphilosophien widerspiegeln: (1) die Abstinenztherapie, die auf völligen Konsumverzicht und dauerhafte Enthaltsamkeit abzielt, und (2) die Selbstmanagementtherapie (Selbstmanagement), die einen kontrollierten Konsum anstrebt oder den Drogenkonsum unter weniger gesundheitsgefährdenden Bedingungen ermöglicht ([engl.] harm reduction). Die Entscheidung für einen der beiden Ansätze hängt von den bes. Risiken und Charakteristika der jew. Substanz sowie von personalen und sozialen Bedingungen des indiv. Falles ab. So steht beim injizierenden Konsum von Opioiden i. d. R. die Substitutionstherapie mit dem Primärziel der Schadensbegrenzung im Vordergrund, um den Betroffenen das Überleben zu sichern und ernsthafte Gesundheitsfolgerisiken (Hepatitis, HIV und andere) zu minimieren. Beim Alkohol wird i. d. R. Totalabstinenz angestrebt, aber es kommt in Einzelfällen auch das Therapieziel eines kontrollierten und reduzierten Konsums in Betracht. Bei der Tabakabhängigkeit ist das Ziel des kontrollierten Rauchens weder aus suchttherap. noch aus med. Perspektive sinnvoll (Raucherentwöhnung). Die Behandlung von Abhängigkeitsstörungen beinhaltet i. d. R. mehrere therap. Stufen: (1) Körperlicher Entzug des Suchtmittels (med. Entgiftungsbehandlung), (2) psychotherap. Entwöhnungsbehandlung, (3) Resozialisierung und Mitbehandlung der Angehörigen/Bezugspersonen und (4) Mitarbeit in einer Selbsthilfegruppe. In Dt. liegen AWMF-S3-Therapieleitlinien unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DG-Sucht und DGPPN, 2015, [www.dg-sucht.de/s3-leitlinien]) für die Bereiche Alkohol und Tabak vor. Für Opioide, Cannabis und Partydrogen existieren bislang Leitlinien auf S2-Niveau (DG-Sucht und DGPPN, 2004), deren Aktualisierung in Planung ist.
Psychotherap. Ansätze mit ausreichender Evidenzbasierung im Bereich der Substanzstörungen sind vor allem kogn.-verhaltenstherap. Gruppeninterventionen (Verhaltenstherapie) und Social-Support-Gruppen sowie motivationsfördernde Maßnahmen. Im Einzelnen kommen i. R. einer komplexen Suchttherapie folg. evidenzbasierte Komponenten zum Einsatz: Psychoedukation (Wirkcharakteristika der Substanzen, Abhängigkeitsmechanismen, Risiken), motivierende Gesprächsführung, soziale Unterstützung (soziales Netz, Angehörigenarbeit, Selbsthilfetechniken), verhaltenstherap. Verfahren (Reiz- und Reaktionskontrolle (Bedingungskontrolle), Triggervermeidung, Selbstkontrolle, Verhaltensverträge, Kontingenzmanagement (operante Konditionierungsmethoden), Verstärkerpläne, Exposition), kogn. Verfahren (Selbstmanagement, Stärkung der Selbstkontrolle, kognitive Um-/Restrukturierung), Training sozialer Kompetenzen (Ablehnungstraining, Erlernen von Bewältigungsstrategien für interpersonelle Konflikte). Internat. liegen zahlreiche evaluierte Therapieprogramme zur Behandlung von Substanzstörungen vor. Die meth. besten randomisierten kontrollierten Studien wurden mittlerweile in Metaanalysen und Systematic Reviews (z. B. Cochrane Collaboration) zus.gefasst und belegen insges. mittlere bis hohe Effektstärken der psychotherap. Interventionsverfahren in der Suchtbehandlung. Allerdings sind die langfristigen Therapieerfolgsquoten in der Versorgungspraxis der Suchtkrankenhilfe nach wie vor unbefriedigend. Im Durchschnitt werden nicht mehr als 30–60 % der Abhängigen in der Entzugstherapie dauerhaft abstinent; von den übrigen Pat. erreichen max. 50 % zumindest eine signifikante Reduktion der Konsummenge. In der Suchttherapie sind mehrere Therapieanläufe bis zum Erfolg eher die Regel als die Ausnahme.