Supervision
[engl. supervision Aufsicht, Kontrolle; lat. super- über, videre sehen], [AO, GES, KLI], Beratungsmethoden zur Reflexion von Arbeitsprozessen auf der interpersonellen, gruppen-, teammäßigen sowie organisationsbezogenen Ebene. Ein Supervisor reflektiert z. B. mit Studierenden und Professionellen (z. B. Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialarbeitern, Pädagogen, Pflegekräften) die jew. Arbeitsbeziehungen mit deren (abwesenden) Klienten; ebenso Team- und Organisationsprobleme. Dabei kommt es zu Lernfunktionen wie: reflektieren, unterstützen, konfrontieren, Neues probieren, Grenzen setzen, pos. Absichten unterstellen, Werte, Positionen und fachliche Standards verdeutlichen.
Ende des 19. Jhd. begann die Supervision, aus den USA und Großbritannien kommend, als Hilfe und Kontrolle für Sozialarbeiter. Ferner wurde sie beeinflusst von der Kontrollanalyse für angehende Psychoanalytiker (Lehranalyse) bzw. Psychotherapeuten, die während und ggf. auch nach ihrer Ausbildung ihre «Fälle» einem erfahrenen Kollegen vortragen. Auch die von Balint begründete psychoanalytisch orientierte Weiterbildung für Ärzte, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter u. a. Berufe (Balint-Gruppe) ist eine Form der Supervision, bei der die Gestaltung der bewussten und unbewussten Kommunikation zw. Helfer und Klient im Mittelpunkt steht (Beziehungsdiagnostik).
In meth. Hinsicht ist die Supervision von den versch. psychoth. Richtungen beeinflusst; sie nutzt deren Kommunikationsmöglichkeiten. Allerdings darf die Supervision nicht mit Psychoth. verwechselt werden; persönliche Probleme der Supervisanden (Supervisionsnehmer) sind i. d. R. kein Thema. Denn bei der Supervision handelt es sich um eine Fachberatung für berufliche Zwecke. Inzw. haben viele psychoth. Richtungen eigene (oft sehr ähnliche) Theorien und Methoden der Supervision entwickelt. Beim prozessorientierten Reflexionsverfahren beginnt der Supervisor mit der Untersuchung, weshalb Supervision gerade jetzt gewünscht wird (Nachfrageanalyse). Vielleicht wird Druck auf ihn ausgeübt, das Problem möglichst sofort zu «lösen». Oft handelt es sich um komplizierte Leitungsprobleme oder Defizite in Team und Organisation wie auch «schwierige» Klienten mit einer langen Vorgeschichte. Dann ist ggf. zu untersuchen, weshalb man so lange gewartet hat. Im Supervisionsprozess kommt es zu vom Supervisor unterstützten regelgeleiteten gemeinsamen Arbeitsprozessen. Während im Zentrum der Supervision von Einzelpsychoth. eher Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse stehen, kommt es bei der Supervision von Gruppenpsych. noch zu gruppalen Phänomen sowie dem Spiegeleffekt.
Obwohl Supervision in theoretischer Hinsicht in versch. Einzeldisziplinen (z. B. Sozialarbeit) bzw. Richtungen der Psychoth. entstanden ist, gilt sie heute als interdisziplinäre, mehrdimensionale Beratungswissenschaft, als «Hilfe für Helfer». In konzeptioneller Hinsicht gewann die Systemtheorie immer mehr an Bedeutung. Weil diese heutige dt. Auffassung von Supervision nicht mehr dem engl. Verständnis von «Kontrolle» entspricht, sollte man im engl.sprachigen Raum den Begriff «clinical supervision» verwenden.
Die Settings (Modalitäten, Arbeitsformen) der Spervision sind Einzel-, Gruppen-, Team- und Organisationss. Hierbei gibt es viele Parallelen zu verwandten Settings und Methoden des Coaching, das sich eher mit Leitungs- und Organisationsfragen beschäftigt. Am häufigsten kommt die Teamsupervision vor. Teamsupervisionen sind oft Teil von komplexen Organisationen, die wiederum eine eigene Geschichte und Kultur entwickelt haben (Gemeinschaftsideologie, Konkurrenz, Mythen, Tabus, Erfolgs- und Kränkungsgeschichten). Viele Probleme in Organisationen werden nicht nur durch das Fehlverhalten einzelner Personen, sondern durch strukturelle Mängel in Kommunikation, Organisation und Leitung bewirkt. Oft ist dann Einzel- oder Teamsupervision nicht sinnvoll, sondern Coaching oder Organisationssupervision bzw. Organisationsentwicklung. Weiterhin kennt man die kollegiale Supervision, Intervisionsgruppe oder Peergroup-Supervision. Dabei leitet, jew. im Wechsel, ein erfahrenes Gruppenmitglied die Sitzungen.
Es ist von Vorteil, wenn die Supervisoren sich im jew. Berufsfeld der Supervisanden auskennen, also über Feldkompetenz verfügen. Supervisoren sollten sich möglichst «neutral» verhalten und sich nicht in die Probleme oder Konflikte der Supervisanden verstricken lassen. Der Supervisor sollte eine möglichst angstfreie Atmosphäre zur «freien Assoziation» herstellen, damit die Supervisanden mit möglichst geringer Ich-Kontrolle berichten können (Balint: Mut zur eigenen Dummheit). Wenn der Supervisor (auf Honorarbasis) von außen kommt, spricht man von externer Supervision; gehört er der gleichen Organisation (etwa in einer Stabsstelle) an, handelt es sich um interne Supervision. Die Ausbildung zum Supervisor findet häufig bei versch. psychoth. oder supervisorischen Fachverbänden statt. Ebenfalls berufsbegleitend kann man an einigen Universitäten den akademischen Titel Diplom- bzw. Master-Supervisor erwerben. Seit Jahrzehnten ist die Supervision in der Aus- u. Weiterbildung vieler Berufe bzw. Tätigkeiten etabliert. Supervision gilt als Qualitätsmerkmal und wird teilweise gesetzlich gefordert. Um die Approbation als ps. oder ärztlicher Psychotherapeut zu erlangen und zu behalten, muss jährlich eine gewisse Anzahl an Supervisionsstd. (Qualitätszirkel) nachgewiesen werden.
Seit vielen Jahren ist die Wirksamkeit von Supervision gut erforscht. Wiss. Untersuchungen und versch. Fachverbände (z. B. Dt. Gesellschaft für Supervision, DGSv) haben Evaluationsstudien vorgestellt. Supervision wirkt v. a. auf der persönlichen und kollegialen Ebene (auch als Burn-out-Vorbeugung), weniger auf der organisatorischen Ebene.