Täuschungsstrategien
[engl. strategies of deception], [RF], als Täuschungsstrategien werden explizite strategische Überlegungen falsch Aussagender bezeichnet, wie eine Falschaussage zu gestalten und zu präsentieren ist, um das Gegenüber vom Wahrheitsgehalt der eigenen Aussage zu überzeugen (sekundäre Täuschung). In Situationen, in denen Aussage gegen Aussage steht, wie dies insbes. bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (sexuelle Belästigung, sexueller Missbrauch) häufig der Fall ist, kommt einer überzeugenden Darstellung der eigenen Version des Geschehens große Bedeutung zu. Aussagende setzen Strategien ein, um den Eindruck zu kontrollieren, den sie ihrem Gegenüber vermitteln (Fälschung(-sverhalten), Eindruckssteuerung). Versucht eine Person, i. R. einer gezielten Täuschung einen irreführenden Eindruck zu erzeugen, wird dies als strategische Selbstpräsentation bezeichnet (Köhnken, 1990). Die Wahl von Impression-Management-Strategien ist situationsabhängig. Dementsprechend unterscheidet sich auch die strategische Selbstpräsentation falsch Aussagender in Abhängigkeit von der Thematik der Falschbeschuldigung und der Schwere des erhobenen Vorwurfs. Bei dem schwerwiegenden und für den forensischen Anwendungskontext bes. relevanten Vorwurf einer Vergewaltigung wird unter Bezug auf das Konzept der sekundären Täuschung davon ausgegangen, dass eine falsch aussagende Person i. S. strategischer Selbstpräsentation (Selbstdarstellung) die folg. Ziele verfolgt (Niehaus et al., 2005): Eine falsch aussagende Person wird versuchen, die eigene Person als kompetent, z. B. durch strategisches Vermeiden von Unsicherheiten oder Erinnerungsbemühungen, und als moralisch makellos darzustellen (Köhnken, 1990), z. B. durch strategisches Vermeiden von Selbstbelastungen oder Einwänden gegen die Glaubwürdigkeit der eigenen Person (motivationsbezogene Inhalte). Sie wird versuchen, die beschuldigte Person abzuwerten, um deren Glaubwürdigkeit zu untergraben und selbst als glaubwürdigere Informationsquelle wahrgenommen zu werden, z. B. durch strategisches Vermeiden von Entlastungen. Schließlich wird sie darauf achten, ihre Aussage inhaltlich und formal unauffällig zu präsentieren, um keine unnötige Angriffsfläche für Zweifel zu bieten, z. B. durch eine hohe Plausibilität und das Vorbringen schemakonsistenter Emotionen (Emotionsschilderungen) sowie durch strategisches Vermeiden schemainkonsistenter Inhalte (Realkennzeichen). Um vermeintlich selbstschädigende oder verräterische Äußerungen zu vermeiden, scheinen Täuschende sich an Lügenstereotypen zu orientieren (Niehaus, 2008b). Inhalte, die von falsch Aussagenden gezielt vermieden werden, sind aussagepsychol. insofern interessant, als deren Auftreten dagegen spricht, dass eine aussagende Person darum bemüht ist, eine Lüge überzeugend zu präsentieren (sekundäre Täuschung). Die Annahme, dass falsch Aussagende best. Inhalte gezielt vermeiden, weil diese einer pos. Selbstpräsentation zuwiderlaufen, bildet eine wesentliche Basis für die Anwendung der merkmalsorientierten Inhaltsanalyse. Die Befunde empirischer Untersuchungen zu inhaltsbezogenen Täuschungsstrategien von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen stützen diese Annahme, verweisen auf Unterschiede hinsichtlich der strategischen Bedeutsamkeit einzelner Glaubhaftigkeitsmerkmale und darauf, dass nicht allein motivationsbezogenen Inhalten, sondern auch nicht motivationale Inhalte täuschungsstrategische Bedeutung zukommt. Erkenntnisse zu inhaltsbezogenen Täuschungsstrategien können im Anwendungsfeld der Glaubhaftigkeitsbegutachtung als Interpretationshilfe für die Beurteilung der Qualität einer Aussage dienen.