Text-Leser-Interaktion
[engl. reader-text interaction], [KOG], in der Text-Leser-Interaktion manifestiert sich die grundsätzliche kogn. Konstruktivität der menschlichen Informationsverarbeitung, bei der Text- wie Lesermerkmale in gegenseitig moderierender Relation den Prozess und das Produkt des Verstehens von Texten bestimmen. Das betrifft literarisch-fiktionale genauso wie nicht fiktionale Sachbuchtexte und den gesamten Rezeptionsprozess von der Textauswahl über die unmittelbare Lektüre bis zu den Wirkungen der Textrezeption (Textverarbeitung).
Bei der Lektüreauswahl wirken sich vor allem motivationale Gratifikationserwartungen aus, durch die außerordentlich stabile Genderpräferenzen zustande kommen: Belletristisch-fiktionale Literatur wird mehr vom weiblichen Geschlecht gelesen, nicht fiktionale Sachliteratur vom männlichen. Außerdem nutzen Frauen den (fiktionalen) Lesestoff mehr zu einem identifikatorischen Probehandeln als Übertragung auf die eigene Lebenswelt, während Männer die (primär Sach-)Literatur eher distanzierend-analytisch zur Wissensvermehrung einsetzen (qua Informations- im Kontrast zur Unterhaltungsfunktion von Literatur).
Am unmittelbaren Verstehensprozess ist die kogn. Konstruktivität der menschlichen Informationsverarbeitung seit den 1960er-Jahren am eindrucksvollsten nachgewiesen worden, weil es sich dabei i. Ggs. zur alltagsps.-naiven Intuition gerade nicht um ein passives Dekodieren von Textinformationen handelt, sondern um eine konstruktive Verbindung der Textsemantik mit dem leserseitigen Vorwissen. Deshalb liegt beim Verstehensprozess immer auch eine aktive Ergänzung von Informationen vor, und zwar nicht nur bei fiktionalen, sondern auch bei Informationstexten. Das immer wieder als relevantester Faktor gesicherte Vorwissen bezieht sich dabei sowohl auf Textinhalte wie auch auf Textstrukturen und verbindet sich mit den im Text enthaltenen Informationen zu einem mentalen Situationsmodell, das symbolisch-abstrakte Inhalte und anschaulich-analoge Vorstellungen integriert. Mittlerweile kann sogar als gesichert gelten, dass schon während des Verstehensprozesses relativ verarbeitungstiefe Bewertungen hinsichtlich des Realitätsgehalts der elaborierten Informationen (in Form von epistemologischen Einschätzungen; Epistemologie) ablaufen.
Dementsprechend ist auch die Lektürewirkung keineswegs linear aus den rezipierten Textinhalten zu extrapolieren, wie es die frühe behavioristische Forschung zur Massenkommunikation mit ihrer Konzentration auf politische Einstellungsänderungen noch annahm. Textbotschaften können durch leserseitige Einstellungen und Rezeptionsprozesse in vielfältiger Art und Weise sowie in unterschiedlichem Ausmaß gebrochen werden, bis hin zur Verkehrung in ihr Gegenteil. Deshalb haben sich die in der Textwirkungsforschung angesetzten Subjektmodelle vom ursprünglich angenommenen determiniert-passiven Rezipienten wegentwickelt, und zwar über den selektiv-reaktiven und reduktiv-modifizierenden hin zum aktiv-elaborativen Rezipienten, der aus der Verbindung der Textbotschaft mit den persönlichen Voreinstellungen, Vorwissensdimensionen etc. eine eigene Position entwickelt.