Transplantation, psychosoziale Belastung
[engl. transplantation, psychosocial strain/burden; lat. transplantare verpflanzen], [GES], bezeichnet i. R. der Transplantationspsychologie alle psych. und sozialen Beeinträchtigungen, die im Verlauf einer Organtransplantation auftreten können. Ebenso wie körperliche Veränderungen bestimmen auch Emotionen, Kognitionen und soziale Veränderungen die Symptomatik chronischer Erkrankungen. Der Prozess der wachsenden Erkenntnis, chronisch krank zu sein, von den ersten Symptomen über die Diagnosestellung bis hin zur Akzeptanz eines Lebens mit chronischer Krankheit, ist von emot. Krisen begleitet. Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit, Angst, Aggression, Hoffnung und Zuversicht wechseln in nicht vorhersehbarer Weise und sind Ausdruck der graduellen Anpassung an die Erkrankung (Krankheitsbewältigung). Unterschiedliche Bewältigungsstrategien (Stressbewältigung/Coping) werden eingesetzt, wobei die Funktionalität weniger in der Wahl der einzelnen Strategie zum Ausdruck kommt als vielmehr in einem flexiblen und der Situation angemessenen Einsatz. Begleitet wird dieser intrapsychische Prozess vom zunehmenden Verlust persönlicher Autonomie und sozialer Rollen in Beruf und Familie sowie einer Einschränkung von Aktivitäten und Kontakten. Im Endstadium der chronischen Erkrankung muss sich der Pat. mit seiner begrenzten Lebenserwartung und der notwendigen Transplantation auseinandersetzen. Todesangst, Entscheidungskonflikte und die Ungewissheit, ob rechtzeitig ein Organ zur Verfügung stehen wird, stellen in dieser Zeit eine besondere psychosoziale Belastung dar.
Nach der Transplantation steht zunächst die körperliche Rekonvaleszenz mit möglichen med. Komplikationen im Vordergrund, die im Falle ihres Auftretens auch eine psychosoziale Belastung bedeuten. Unmittelbar postoperativ kann zudem ein akutes hirnorganisches Psychosyndrom auftreten, das jedoch im Normalfall vollst. reversibel ist. Eine weitere psychosoziale Belastung kann die Integration des neuen Organs darstellen, die in der Mehrzahl der Fälle allerdings wenig Probleme bereitet. Im späteren Verlauf treten unerwünschte Wirkungen der abstoßungshemmenden Medikation und Folgeerkrankungen in den Fokus (z. B. Infektionen, Diabetes mellitus, Bluthochdruck), die langfristig mit einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und chronisches Nierenversagen einhergehen. Je nach Auftreten dieser Erkrankungen und den daraus entstehenden Einschränkungen kann die psychosoziale Belastung indiv. sehr unterschiedlich ausfallen. Eine große Rolle spielen zudem Ängste, insbes. vor der Abstoßung des transplantierten Organs und einer notwendigen erneuten Transplantation sowie vor den genannten Folgeerkrankungen. Weitere Herausforderungen bestehen in der Wiedererlangung zufriedenstellender sozialer Rollen in Familie und Partnerschaft und der Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit oder einer anderen vom Pat. als sinnvoll empfundenen Beschäftigung. Auch finanzielle Probleme und die Durchsetzung von finanziellen Ansprüchen z. B. gegenüber Krankenkassen und Behörden können eine psychosoziale Belastung darstellen. Darüber hinaus wird die notwendige Beachtung eines gesunden Lebensstils und einer guten Adhärenz (pünktliche Medikamenteneinnahme, regelmäßige med. Untersuchungen, Beachtung von Verhaltensvorgaben zur Infektionsprophylaxe) von vielen Pat. als belastend wahrgenommen.
Mit einer Transplantation kann die psychosoziale Belastung im Vergleich zum präoperativen Zustand deutlich reduziert werden, dennoch sind die Pat. weiterhin als chronisch krank anzusehen und müssen entspr. Anpassungsleistungen erbringen. Neben dem med. Verlauf hängt der Erfolg einer Transplantation in starkem Maße davon ab, wie gut den Pat. die Bewältigung der psychosozialen Belastung gelingt. Häufig werden Lebensinhalte neu bewertet und neue Lebensziele gesetzt. Gelingt dies nicht, können eine verringerte Lebensqualität und psych. Erkrankungen die Folge sein. Das Ausmaß der empfundenen psychosozialen Belastung wird zudem moderiert (Moderatorvariable) durch personale und soziale Ressourcen bzw. Resilienzfaktoren (Resilienz) wie Selbstwirksamkeitserwartung und soziale Unterstützung.