Triebtheorie nach Freud
[engl. Freudian drive theory, instinct theory], [EM, KLI, PER], mit der Triebtheorie versucht Freud (Psychoanalyse) die Kräfte zu erfassen, die das psych. Geschehen determinieren. Die Triebe konzipiert er als «Arbeitsanforderung, die dem Seelischen infolge seines Zus.hangs mit dem Körperlichen auferlegt ist» (Freud, 1915b). Die Quelle des Triebs ist ein körperlicher Reiz, bspw. ein erregender Vorgang in einem erogenen Organ. Das Triebziel ist die Aufhebung dieses Reizes durch eine adäquate Handlung. Die psychoanalytische Trieblehre (Trieb, psychoanalytische Betrachtung) war von Anfang an dualistisch aufgebaut, d. h., zwei Triebarten wirken konflikthaft gegeneinander. Freuds erste Triebtheorie, die ab 1905 begriffliche Gestalt annahm, stellte die Ich-Triebe und Selbsterhaltungstriebe dem Sexualtrieb gegenüber. In dieser Theorie konfligieren die Anforderungen des Sexualtriebs bzw. der Libido mit den Anforderungen des Ich (Abwehrmechanismen des Ich) und der Selbsterhaltung. Wenn dieser Konflikt keine angemessene Lösung findet, kann eine Neurose entstehen. In ihrem Fall werden die sexuellen Triebregungen verdrängt und finden im Symptom eine Ersatzbefriedigung. Einhergehend mit der Einführung des Narzissmus (Freud, 1914b) setzte sich bei Freud die triebtheoretisch relevante Einsicht durch, dass das Ich nicht wie vorher angenommen i. Ggs. zur Libido steht, sondern stattdessen selbst libidinös besetzt ist. Die neuen Erkenntnisse stellten die dualistische Triebauffassung infrage und ließen die Perspektive einer monistischen Trieblehre aufscheinen. Doch 1920 reetablierte Freud in seiner Schrift Jenseits des Lustprinzips (Freud, 1920) die dualistische Triebtheorie mit dem Gegensatzpaar Eros vs. Todestrieb, wobei der Eros Sexualität und Selbsterhaltung umfasst. Sein Bestreben ist es, die lebende Substanz zu erhalten und zu immer größeren Einheiten zus.zuschließen. Der entgegenwirkende Todestrieb will diese Einheiten auflösen und in einen uranfänglichen, anorganischen Zustand zurückführen. Bis heute ist die psychoanalytische Triebtheorie wiss. umstritten. V. a. der zweiten Triebtheorie Freuds ist vorgeworfen worden, sie fördere ein monadologisches, biologistisches, antiempirisches und metaphysisches Verständnis psych. Prozesse. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, wie wichtig das Verhalten der Bezugspersonen für das Entstehen sinnlicher Lust und sexueller Erregbarkeit beim Kind ist. Für den frz. Psychoanalytiker Jean Laplanche (Laplanche, 1988) lässt sich die Entstehung des Sexualtrieb nur intersubjektivistisch erklären. Nach seiner Allg. Verführungstheorie führt der frühe Körperkontakt mit der Mutter und die Assymetrie zw. erwachsener Sexualität und kindlichen Bedürfnissen zu einer Erogenisierung des kindlichen Körpers und zur Konstitution des triebhaften Unbewussten.