Verstehen, verstehende Psychologie

 

[engl. apperception apperceptive psychology; lat. appercipere «hinzuwahrnehmen»], [EM, KOG, PHI], zur allg. Charakterisierung des Verstehens kann der in der Ps. vertraute Begriff der Apperzeption, d. h. die im Unterschied zu bloßer Perzeption bewusste, ordnende, in den Bedeutungszusammenhang der Erfahrung einordnende Aufnahme eines Erlebnis- oder Wahrnehmungsinhalts, dienen. Zumindest vier Varianten von Verstehen müssen differenziert werden: (1) Verstehen als einfühlendes Erfassen von Motiven (Motiv) und Begründungen menschlicher Handlungsweisen (praktische Menschenkenntnis, die darauf beruht, dass man sich in den anderen hineinzuversetzen vermag). (2) Verstehen als Evidenz, als Begreifen von Sachzusammenhängen (dieser Sinn steht dem des «Verstandes» begrifflich am nächsten). (3) Verstehen als Einsicht in die Bedeutung von (sprachlichen und anderen) Zeichen (Sprachrezeption, Verständlichkeit). (4) Verstehen als wiss. Erkenntnismethode (Hermeneutik), als die Deutung von Sachverhalten und Texten aus der Einmaligkeit ihres Entstehenszusammenhangs und aus der Typik ihrer Erscheinungsformen (Wach, 1926, Gadamer, 1972, Apel, 1955, Habermas, 1971). Die Ps., die zugleich idiografisch (am Einzelfall interpretierend) und nomothetisch (gesetzbildend, von Gesetzen ableitend) verfährt, räumt prinzipiell dem Verstehen die Rolle einer vermittelnden Kategorie im Sinn der obigen allg. Kennzeichnung als bewusste, ordnende Kognition ein, indem «naives» Verstehen von ihr auf eine wiss. Basis gestellt werden soll. Jedoch wird von der verstehenden Ps. das Verstehen eher programmatisch in Anspruch genommen, um das Studium der Psyche als geisteswissenschaftliche Domäne gegenüber naturwissenschaftlicher Erklärungspraxis abzusetzen. Dilthey (1894, s. Dilthey, 1964) hat so die «sinnerfüllte», beschreibende und zergliedernde als «geisteswissenschaftliche» Ps. (die dem Gegenstand einzig angemessen sei) der «sinnfreien», naturwissenschaftlich erklärenden Ps. (etwa der Assoziationspsychologen der zweiten Hälfte des 19. Jh.) gegenübergestellt. In dieser geisteswissenschaftlichen Tradition stehen u. a. Spranger (1966)Jaspers (1971) und Gruhle (1953). Die Frontstellung von geisteswiss. gegen naturwiss. psychol. Verfahrens- und Erkenntnisweisen überholt sich im Zuge der Herausbildung des Selbstverständnisses der Ps. als das einer empir. Sozialwiss. (Holzkamp, 1972b).

Referenzen und vertiefende Literatur

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