Wortbildung

 

[engl. word formation], [KOG], die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, in die Wörter zerlegt werden können, bez. man als Morpheme (z. B.: un+brauch+bar). Freie Morpheme besitzen sowohl lexikalische als auch grammatikalische (Grammatik) Funktion und kommen ungebunden bzw. frei vor (z. B.: Tasse, braun, er, an, und). Morpheme, die nicht selbstständig vorkommen, nennt man gebundene Morpheme (z. B.: un-, -bar, -en). Die Lehre, die die Form, Struktur, Funktion und das Vorkommen von Morphemen beschreibt, nennt man Morphologie. Man unterscheidet drei Klassen der Wortbildung: Flexion (Beugung), Derivation (Ableitung) und Komposition (Zus.setzung). Durch Flexion werden grammatische Funktionen wie Numerus, Kasus oder Tempusmarkierung realisiert (Kind+er, du geh+st, wir geh+en, er ging). Bei Derivation wird durch Anfügen eines Affixes (Präfix, Suffix) an ein freies Morphem ein neues Wort gebildet (Schön+heit). Komposition beschreibt die Regeln, nach denen mind. zwei freie Morpheme zu einem neuen Wort kombiniert werden (Tisch+lampe, Geiz+kragen).

Sprachen unterscheiden sich z. T. beträchtlich in der Art und Weise, wie morphologische Struktur ausgedrückt wird. In flektierenden (synthetischen oder fusionalen) Sprachen (z. B. Latein, Gr., Arabisch) werden grammatische Beziehungen durch die Veränderung der Wortstruktur ausgedrückt, üblicherweise durch Flektionsendungen, die unterschiedliche grammatische Funktionen auf einmal ausdrücken. Das +o im Lat. «cogito» repräsentiert die erste Person Singular, Präsens, Aktiv und Indikativ. In agglutierenden Sprachen (z. B. Türkisch, Finnisch, Japanisch) werden einzelne Morpheme aneinandergereiht (Türkisch für «ich denke»: düşünü+yor+um, +yor = Präsens, +um = 1. Person Singular; Aktiv und Indikativ werden nicht markiert). Polysynthetische Sprachen (z. B. Eskimo, Mohawk) verwenden eine Mischung aus agglutierenden und flektierenden Morphemen.

Hinsichtlich der Verarbeitung und Repräsentation morphologisch komplexer Wörter unterscheidet man (1) Single-Route-Modelle und (2) Dual-Route-Modelle. Single-Route-Modelle kann man nochmal in Full-Listing-Modelle und Modelle mit obligatorischer Dekomponierung unterteilen. Bei Full-Listing-Modellen erfolgt keine Dekomponierung (Aufspaltung) morphologisch komplexer Wörter in Morpheme. Morphologisch komplexe Wörter sind in Vollform im mentalen Lexikon gespeichert. Bei obligatorischer Dekomponierung werden nicht nur morphologisch komplexe Wörter, sondern auch nur scheinbar morphologisch komplexe Wörter vor dem Zugriff auf das mentale Lexikon dekomponiert (z. B. Käfer in Käf+er, Müller in Müll+er). Dual-Route-Modelle haben zwei Zugangswege zum mentalen Lexikon: einen mit dekomponierten Zugriffseinheiten und einen mit Vollformzugriffseinheiten.

Die wesentlichen Manipulationen in Untersuchungen zur Verarbeitung morphologisch komplexer Wörter variieren die Wort- bzw. die Konstituentenhäufigkeit sowie die semantische Transparenz. Morphologisch komplex und semantisch transparent sind Wörter, bei denen sich die Bedeutung des komplexen Wortes aus der Bedeutung der Einzelteile erschließen lässt (z. B. Regenfass). Bei semantisch intransparenten Wörtern (z. B. Geizkragen) ist dies nicht (mehr) oder nur schwer (z. B. Lampenfieber) möglich.